Arbeitsfrei: Eine Entdeckungsreise zu den Maschinen, die uns ersetzen (German Edition)
anderen Seite, etwa bei den Getreideverkäufern und den Schlachthöfen, zunehmend gespiegelt – wenn auch in weniger komplexer Weise. Eigene Algorithmen und Softwaresysteme bei Agrarfabriken oder Mühlen versuchen den richtigen Zeitpunkt für Verkauf, Schlachtung und natürlich die Preise und Zeitpunkte für die Optionsscheine zu kalkulieren, mit denen die Naturprodukte noch vor der Ernte gehandelt werden. Ein nicht gänzlich offensichtlicher Nebeneffekt davon ist, daß die Erfahrung der Menschen, die bisher diese Entscheidungen trafen, nach und nach weniger wert wird, weil sich die Mechanismen, auf die sich ihr Gespür, ihre Erinnerungen, ihr systemisches Wissen und ihre Intuition beziehen, verändern oder gänzlich anders werden als früher. Wenn Software mit Software handelt und Verträge anbahnt, ist der Mensch, der vielleicht auf der anderen Seite noch einen Menschen erwartet, irgendwann kein adäquater Mitspieler mehr.
Wie stark die Technologieentwicklung schon in den Berufsalltag eingedrungen ist, zeigt sich auch im Kleinen, etwa in Anwaltskanzleien, wo der Bedarf an Rechtsanwaltsgehilfen und Sekretären in den letzten Jahren pro Anwalt immer weiter gesunken ist. Diktiersoftware – wie sie auch beim Schreiben dieses Buches umfangreich zum Einsatz kam –, die Gesprochenes in Geschriebenes verwandelt, hat die klassische Sekretariatsaufgabe der Diktataufnahme in vielen Kanzleien und anderen Büros verdrängt. Digitale Akten, bald gefolgt von elektronischer Übermittlung von Schriftsätzen, die oft genug großenteils aus immer wieder kopierten Textblöcken bestehen, haben den nötigen Arbeitsaufwand reduziert.
Standardisierte Rechtsvorgänge – die Abmahnkanzleien der Musik- und Filmindustrie sind hier ein unrühmlicher Vorreiter – minimieren die nötigen Arbeitsschritte weiter. Auch die Anwälte selbst, die insbesondere in den USA in großen Prozessen zwischen Firmen dafür bezahlt wurden, im Rahmen der Beweiserhebung in gigantischen Akten- und Datenbeständen nach Informationen zu suchen, die sich als Argument für ihre Prozeßpartei verwenden lassen, werden zunehmend durch Software ersetzt, die in der Lage ist, in riesigen Datenbeständen nicht nur nach Schlüsselbegriffen, sondern auch nach Anomalien, Unregelmäßigkeiten und Verdachtsmomenten zu fahnden.
Dabei machen sich die Entwickler der Algorithmen die Tatsache zunutze, daß illegale oder ungewöhnliche Aktivitäten oft zu Kommunikationsmustern führen, die von den normalen Vorgängen abweichen. Im Umfeld solcher Anomalien in den Daten finden sich dann oft die gesuchten Details oder Anhaltspunkte für Korruption, regelwidrige Absprachen oder anderes illegales Verhalten, auf das die Suche zielt. Bisher saßen bei langwierigen Großprozessen oft Dutzende Anwälte wochenlang über den Akten und Dateien, um solche Beweise zu finden.
Auch menschliche Kreativität, die bisher als nicht oder nur begrenzt durch Algorithmen ersetzbar galt, ist in einigen Bereichen weitaus weniger unersetzbar als angenommen. Ein drastisches Beispiel hierfür liefert die Firma Narrative Sciences, die es sich zum Ziel gesetzt hat, ihre Software Geschichten erzählen zu lassen. Wie es sich für ein gewinnorientiertes Start-up gehört, geht es dabei nicht um Märchen oder Sagen, sondern um Quartalsberichte von Unternehmen und – durchaus beeindruckend – um Sportberichterstattung.
Durch Analyse von Millionen von Zeitungsartikeln über in den USA beliebte Sportarten wie Baseball oder Basketball, die mit den über jedes Spiel erfaßten Daten über Spielaktionen, Ballbesitz, Tore, statistische Auffälligkeiten und Rekorde und so weiter verglichen wurden, lernten die Systeme von Narrative Science, wie Menschen über ein Spiel schreiben. Typische Phrasen und Wortverbindungen der Sportberichterstattung für die jeweiligen Situationen wurden extrahiert und in einer Datenbank gespeichert. Ergibt sich aus den Daten des Spiels, über das die Software gerade einen Bericht schreibt, eine ähnliche Situation, werden die dazugehörigen Satzbestandteile zur Beschreibung herausgesucht.
Aus dem Kontext der Daten und daraus, wann in der von der Software belieferten Zeitung diese Satzbausteine zuletzt verwendet wurden – man will schließlich keine zu auffälligen Wiederholungen von Formulierungen –, und weiteren Modulen, die unter anderem auf korrekten Satzbau und Grammatik achten, ergeben sich letztendlich die fertigen Sätze und Absätze eines Artikels. Die nackten, formalisierten
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