Arche Noah | Roman aus Ägypten
Nun aber muss er zurückspulen, damit ich mir alles noch einmal in Ruhe ansehe. Ich möchte jederzeit stoppen und bei einem Moment so lange verweilen können, bis ich ihn gezeichnet und im schönsten Smaragdgrün und Rubinrot ausgemalt habe. Vor allem möchte ich genau diesen Augenblick festhalten, hier beim ersten Katarakt zusammen mit Hassûna. Ich schaue zu, wie er sich auszieht und in dieses ewige Wasser springt. Ich will auf Stopp drücken und seinen Körper betrachten, die kräftigen Muskeln, seine Haut, die, von so viel Sonne liebkost, regelrecht strahlt, die grosse Nase, die ihm königliche Erhabenheit verleiht. Ich möchte ihn aus Ton formen, ihm meine Seele einhauchen, ihn, von Leben erfüllt, meinem Körper zugesellen. Damit ich mir dieses Bild bis in alle Ewigkeit bewahre, müsste Gott mich jetzt als Hassûnas Gefährten erwählen. Dann wäre ich glücklich. Das Bild zeigt dieses herrliche Ufer, das, einer orangefarbenen Wüste entsprungen, im Schoss eines rauschenden Flusses ruht. Indessen klatscht der Fluss mit voller Wucht immerzu an die Felseninseln, aus denen Bäume in den Himmel ragen. Berstende Schönheit. Und mittendrin Hassûnas Körper, langgestreckt, wie um den Victoriasee mit dem Mittelmeer zu verbinden. Nein, ich will nicht sterben. Der Teufel soll mich verwandeln, in eine Felseninsel, hier in diesem Katarakt.
»Was wirst du machen, wenn das Hotel schliesst?«
»Es gibt nur eine Lösung: aus Ägypten weggehen und irgendwo in der weiten Welt arbeiten.«
»Wo?«
»Am liebsten in Italien.«
»Warum nicht England? Du sprichst doch Englisch, aber kein Italienisch.«
»Ein Visum für England zu bekommen ist so gut wie unmöglich. Nach Italien kann man sich vom Meer oder von Osten her über den Landweg einschleichen. Ausserdem ist England zu weit weg.«
»Ich kann dir helfen.«
»Im Ernst?«
»Ich würde alles für dich tun, wenn du es nur willst.« Richards Augen gingen über vor Zärtlichkeit, Sehnsucht und Verlangen.
Hassûna wich zurück, sprang vom Ufer auf das Boot, zog die Gallabija an und begann das Fahrzeug zum hunderttausendsten Mal zu putzen.
Richard kam auch an Bord. »Ich möchte, dass du für mich Modell sitzt«, sagte er. »Ich will einen Nubier malen, und du bist dafür ideal. Ich zahle dir auch, so viel wie du willst. Also, ich erwarte dich morgen Nachmittag um fünf Uhr in meinem Zimmer. Dann male ich dich, und wir können bereden, wie du ein Visum für England bekommst.«
Ohne Worte machte Hassûna die Leinen los.
N achts auf der Insel sassen sie zwischen drei Palmen beisammen: über zwanzig Nubier, in ihrer Mitte Nabri und Hassûna. Die Männer waren gekommen, um zu hören, wiedas Leben in Kuwait ist, und um den Geruch des Erdöls zu schnuppern. Nabri erzählte in aller Ausführlichkeit. Nun war er wieder er selbst, er kostete es buchstäblich aus, nach so langer Zeit wieder Nubisch sprechen zu können. Diskussionen entspannen sich. Die Themen wechselten wie die Gläser und hinterliessen einen bitteren Nachgeschmack. Hassûna kam auf das Rückkehrrecht der Nubier zu sprechen, das sie jetzt, nachdem in die Sache mit dem Staudamm Ruhe eingekehrt war und sich der Wasserstand hinter dem Damm reguliert hatte, endlich mit aller Vehemenz einfordern müssten. »Wo sind die Gelder der Welternährungsorganisation geblieben? Immerhin sind Ägypten 1,3 Milliarden Dollar zugesichert worden, um die Rückkehr der Nubier in ihr angestammtes Gebiet zu finanzieren. Die nubischen Dörfer um den Staudamm müssen wiederaufgebaut werden.«
Ein anderer meldete sich zu Wort: »Was ist mit unserer Forderung, das Gouvernement Assuan in Nubien umzubenennen und den Namen Assuan auf die Hauptstadt zu beschränken? Man ignoriert sie einfach. Und der Staatspräsident hat bisher keinen einzigen Nubier zum Mitglied des Schûra-Rats ernannt.«
Ein Mittfünfziger stand auf. »Wie können wir«, hob er an und machte ein paar Schritte um den Kreis der Versammelten, »wie können wir dem Namen Nubien wieder zu Ansehen und Bedeutung verhelfen? Wir haben gefordert, dass der Stausee offiziell in Nubiasee umbenannt wird. Aber wir stossen immer nur auf taube Ohren. Alle Bemühungen, ein Bewusstsein für die nubische Geschichte und Sprache zu schaffen und beides in den Schulen zu unterrichten,haben nichts gefruchtet. Wir Nubier haben eine lebendige Sprache, doch man will sie sterben lassen, nein, regelrecht töten. In anderen Ländern werden sogar tote Sprachen wiederbelebt.«
Ein anderer, der beim Achten
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