Arche Noah | Roman aus Ägypten
einmal in einem Fiat 132 und einmal in einem Lkw. Aber ich bin zäh, und ausserdem hatte ich auf der Welt noch einiges vor.
Sekunden später hatten sich massenhaft Menschen um uns geschart. Wie vom Asphalt ausgespuckt, waren auf einmal überall Nubier, unter ihnen auch Verwandte von Nabri. Ich schlich mich davon und suchte mir eine stille Ecke, um zu beten und ihm Eingang ins Paradies zu wünschen. So Gott will, ist ihm das Paradies bestimmt.
Man nennt mich hier Konsul. Ich sage es ungern, verehrte Dame, aber ich bin hierzulande einer der erfolgreichsten Schleuser. Über 6000 Ägyptern habe ich in den letzten fünfzehn Jahren aus dem Land geholfen. Toi, toi, toi. Ich trage immer eine blaue Perle gegen den bösen Blick bei mir.
Ich stamme aus Mît Abu al-Kûm, lebe aber in Talâ, seit ich so blöd war zu heiraten. Ich bin also aus al-Minufîja, und darauf bin ich stolz.
Wie ich das angestellt habe, fragen Sie?
Ich verrate es Ihnen. Zuallererst verdanke ich es Gott. Hinzu kommt, dass ich – in aller Bescheidenheit – ein Künstler bin. Jemand, der Leute ins Ausland schafft, braucht nämlich Phantasie, täglich eine neue Idee.
Wieso, fragen Sie?
Na ja, kaum hat man einen Weg gefunden und gangbargemacht, kommen die verfluchten Dreckskerle dahinter. Und was mache ich da wohl? Ich schlage einen neuen Weg ein. Wie gesagt, meine Liebe, Phantasie!
Als Erstes möchte ich eines klarstellen: Es gibt gewisse Leute, die mich für ein skrupelloses Monster, ja für einen Mörder halten. Irgendwelche Journalisten in klimatisierten Büros kritzeln sich da etwas zurecht. Dass ich Dracula bin, meinen Landsleuten das Blut aussauge, sie ausnehme und ihnen Illusionen in gelben Flaschen verkaufe … alles Quatsch, der reinste Humbug!
Schauen Sie sich um, Verehrteste, fragen Sie die Leute im Dorf. Die werden Ihnen sagen, wer ich bin. Wissen Sie, was Ihnen durch die Bank alle antworten werden? Dass ich so etwas wie Raffgier nicht kenne. Ich habe immer versucht, den Menschen zu helfen, damit sie dann für mich beten. Sie profitieren von der Reise, und ich profitiere von den Gebeten.
Ich erweise meiner Heimat einen enormen patriotischen Dienst. Als Schleuser, wie man mich nennt, übe ich den zurzeit ehrenhaftesten Beruf in Ägypten aus, denn das Land existiert nur, weil die Emigranten Geld heimschicken. Ganz al-Minufîja lebt von dem Geld, das seine Söhne aus Europa und vom Golf überweisen. Ich kann für mich sagen, dass alle, die meine Dienste in Anspruch genommen haben, Gott sei Dank heil geblieben sind. In den Tod habe ich niemanden geschickt. Na ja, aber auch die, die unterwegs umgekommen sind … wie viele mögen es sein? Das wüsste ich selbst gern. Ein Boot nimmt zwanzig, dreissig, fünfzig Mann an Bord. Wie viele Boote sind in den letzten Jahren untergegangen? Zwanzig? Dreissig? Vierzig? Das heisst, es sind 1000, 2000 Mann gestorben. Maximal. Aber wie viele haben es geschafft? Tausende, Zigtausende. Wie hoch ist also die Verlustrate? Kaum der Rede wert.
In der Armee kommen bei bewaffneten Einsätzen bis zu fünfundzwanzig Prozent um, auf der Arche Noah dagegen sind es weniger als ein Prozent. Im Übrigen ist es heutzutage viel wichtiger, den Absprung aus Ägypten zu schaffen, als Militärdienst zu leisten. Hier rauszukommen ist nämlich derzeit das Einzige, was das Land am Leben erhält, jawohl, das Einzige! Ich weiss, wovon ich rede. Ich sage nur: Schattenwirtschaft. Sie ist das Fundament dieses Landes. Auf dem Papier müssten wir schon längst verhungert sein.
Warum wir noch nicht gestorben sind, fragen Sie?
Na, weil ich von Berufs wegen Leute ausser Landes schaffe und weil andere das Gleiche tun. Und ich kann Ihnen sagen, dass wir alle Hände voll zu tun haben.
Kennen Sie die Geschichte von dem deutschen Experten, der herkam, um eine Lösung für unsere wirtschaftliche Misere zu finden und ein ordentliches System aufzubauen? Er hat die Lage studiert, alles geprüft und berechnet. Am Ende ging er zum Minister und sagte: »Dieses Land müsste schon längst den Bach runtergegangen sein. Ich verstehe nicht, wie Sie noch existieren können. Es gibt nur eine Lösung: Machen Sie weiter wie bisher, und vergessen Sie das neue System. Regeln funktionieren hier nicht.« Niedergeschlagen fuhr er heim.
Was diesem Mann verborgen blieb, ist die Tatsache, dass Geld aus dem Ausland nicht über die Banken, sondern mit den Leuten bar nach Ägypten gelangt. Hier kommt es auch nicht aufs Konto, nein, es wird sofort ausgegeben oder
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