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Arche Noah | Roman aus Ägypten

Arche Noah | Roman aus Ägypten

Titel: Arche Noah | Roman aus Ägypten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chalid al-Chamissi
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den Zug, in der Annahme, es würde nicht jeden Tag kontrolliert.
    Es war ein Wagnis, aber es hat sich gelohnt. Zwei Ägypter schlossen sich mir aus dem gleichen Grund an. Im Zug waren wir auf der Hut, beim leisesten Geräusch spitzten wir die Ohren wie die Bulldoggen. Nach elend langer Fahrt waren wir endlich in Österreich. Beim ersten Halt nach der Grenze stieg ein Tunesier ein, der durch die Heirat mit einer Nutte den deutschen Pass bekommen hatte. Er hatte seinen Bruder dabei, der ohne Papiere in Österreich lebte, sie waren auch auf dem Weg nach Italien. Kurze Zeit später waren wir die dicksten Freunde.
    Wie das, fragen Sie?
    Weil schwierige Umstände Menschen in null Komma nichts zusammenschweissen. Und weil es in meinem Leben am laufenden Band brenzlige Situationen gab, werde ich mit Leuten recht schnell warm. Kurz vor der italienischen Grenze stiegen auf einmal jede Menge Polizisten ein. Sofort verliessen wir den Zug. Da standenwir nun, mitten in der Pampa, und hatten keinen blassen Schimmer, wo wir waren. Um zwei Uhr morgens bei etwa zwanzig Grad minus, der reinste Tod! Was für ein Desaster! Wir entdeckten einen Taxistand. Schlotternd rannten wir hin. Wir sprachen mehrere Taxifahrer an und erklärten ihnen, dass wir nach Italien wollen und anständige Leute sind. Es half nichts, sie misstrauten uns und lehnten ab. Schliesslich willigte ein türkischer Fahrer ein, verlangte aber 400 Mark. Abgemacht, wir hätten sogar unser letztes Hemd hergegeben. Und los ging’s. Kurz vor der Grenze, mitten in den Alpen, kriegte er es mit der Angst zu tun. »Die Fahrt ist hier zu Ende«, sagte er. »Geht zu Fuss weiter, ihr kommt problemlos rüber.« Ich stieg als Erster aus, doch im Bruchteil einer Sekunde waren mir die Hände steif gefroren. Es waren bestimmt dreissig Grad minus. Ich sprang sofort wieder in den Wagen. »Nein, wir steigen nicht aus. Oder willst du, dass wir erfrieren?«, sagte ich und drohte ihm: »Wenn die Polizei unsere Leichen findet, wanderst du auf der Stelle ins Kittchen. Am Taxistand haben alle gesehen, dass wir bei dir eingestiegen sind. Wenn du Schiss hast, musst du uns schon zurückbringen. Dann kannst du dir aber auch das Geld abschminken.« Er überlegte einen Moment, was er tun sollte, und entschied umzukehren.
    Kennen Sie den alten ägyptischen Witz? Kommt während der osmanischen Besatzung ein Türke in ein Restaurant, das auf Innereien und so Zeug spezialisiert ist, und bestellt einen Schafskopf.
    »Ein Schafskopf à la Chef«, ruft der Kellner in die Küche.
    »Nein, nein«, sagt der Türke, »ich will einen türkischen Schafskopf.«
    »Und entferne das Hirn!«, ruft der Kellner dem Koch zu.
    Genauso hirnlos war der Fahrer. Was hat er wohl gemacht? Er wendete, fuhr in die falsche Richtung und, ohne es zu merken, nach Italien rein. »Gut«, sagten wir, »dann lass uns hier raus.Den Rest machen wir allein.« Natürlich hat er die volle Summe von uns bekommen.
    In Italien beantragte ich eine Aufenthaltserlaubnis. Das Verfahren sollte mindestens ein Jahr dauern. Na, dann muss ich mich eben so lange gedulden, sagte ich mir. Als ich kurz darauf mit meinen Freunden in Hamburg telefonierte, erzählten sie mir von einer gutbezahlten Arbeit. Ich könne den Job haben, müsse aber sofort zurückkommen. Das war keine leichte Entscheidung, ich überlegte hin und her. Bei der Einreise nach Italien hatte ich verdammtes Glück gehabt, alles war glattgegangen. Auf so einer Fahrt konnte ja sonst was passieren. Und jetzt das Ganze noch mal? Aber ich bin eben ein verrückter Kerl, ich nahm den Zug und liess es drauf ankommen. Ich buchte einen Platz im Liegewagen mit dem Plan, mich im Fall einer Kontrolle einfach schlafend zu stellen.
    Allerdings müssen Reisende im Nachtzug ihren Pass beim Schaffner abgeben, der die Grenzformalitäten erledigt. Ich sprach die Diensthabende an, eine Griechin, sagte ihr offen, dass ich keine Papiere besass, und erzählte lang und breit eine Geschichte. Zuerst wollte sie sich auf nichts einlassen, doch dann drückte ich ein bisschen auf die Tränendrüse, und sie willigte ein. Ich hatte für die Reise extra die Silvesternacht ausgesucht, weil ich dachte, dass da vielleicht nicht kontrolliert würde, was mir die Griechin auch bestätigte. Jedenfalls teilte ich mir das Abteil mit fünf Italienern. Einer von ihnen schien mir sympathisch zu sein, und so zog ich ihn ins Vertrauen. Ich bereitete ihn darauf vor, dass ich mich an der Grenze unter der Sitzbank verkriechen

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