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Arche Noah | Roman aus Ägypten

Arche Noah | Roman aus Ägypten

Titel: Arche Noah | Roman aus Ägypten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chalid al-Chamissi
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unter die Matratze gelegt. Die Ägypter in Europa erhalten ihren Lohn ja bar auf die Hand, weil sie meist schwarzarbeiten. Doch all dieses Geld konnte der arme Wirtschaftsexperte gar nicht mitberechnen, wie auch?
    P lötzlich brach die Dunkelheit herein, eine frühabendliche Brise hob an und verwehte die drückend feuchte, schweisstreibende Hitze. Ich holte ein Taschentuch heraus, beträufelte es mit Veilchenparfum und wischte mir das Gesicht, um den Dunggestank zu übertünchen, der im Garten ringsum vom Boden aufstieg.
    Meine Geschichte …
    Eine lange Geschichte, sie begann 1988. Wie Millionen andere in diesem Land war ich erwerbslos. Beengend schwere Zeiten. Keine Arbeit, kein Job, gar nichts. Und wer doch Arbeit hatte, bekam einen Hungerlohn. Das Land war zum leblosen Körper verkommen. Nicht die leiseste Regung, keine Seele, mausetot eben. In solchen Verhältnissen macht der Mensch gezwungenermassen komische Dinge. Was also tun? Etwa auch sterben? Nein, natürlich nicht. Irgendwie musste man einen Weg finden. Wir waren jung und sahen, wie die Leute aus dem Ausland zurückkehrten. Aufgeplustert wie die Gockel, eingebildet, völlig verändert. Als arme Schlucker waren sie abgereist, und nun, wieder in der Heimat, behandelten sie die anderen von oben herab. Ich weiss noch, da gab es im Dorf einen, der lief mitten im August bei Affenhitze in Anzug und Krawatte herum, völlig bekloppt. Aber das hat bei allen, die auf keinen grünen Zweig kamen, masslosen Neid geschürt. Plötzlich wollten alle nur noch raus aus dem Land, so schnell wie möglich. Und jeder wollte eine Krawatte.
    Wann das war?
    In den Achtzigern. Hoch im Kurs standen damals der Irak oder der Golf.
    Ich ging in den Irak. Etwa drei Millionen Ägypter sollen zu der Zeit dort gelebt haben. Keine Ahnung, ob das stimmt. Auf jeden Fall sagten sie mir: »Du kommst zu spät, Kleiner, die Sahneist schon abgeschöpft.« Ich hatte mich dort gerade eingefuchst, da marschierte Saddam auf einmal in Kuwait ein, und die Hölle brach los. Weise, wie ich schon immer war, machte ich mich sofort aus dem Staub. Schnurstracks nach Jordanien und über Nuwaiba nach Hause. Doch hier war alles trist, düster und ausweglos.
    Ein Visum zu kriegen war damals keine grosse Sache, ausserdem hatte ich noch Erspartes aus dem Irak. Ich bekam ein Visum für Polen, das mich 1100 Pfund kostete. Und auf ging’s nach Warschau. Dort lernte ich eine polnische Truppe kennen, die Leute nach Deutschland schleuste. Für einen lächerlichen Betrag: 200 Dollar. Das weiss ich noch genau. Ich zahlte, und über Nacht kam ich nach Deutschland. Sie setzten mich am Bahnhof ab und sagten: »Wo soll’s hingehen? Such dir was aus. Von hier kommst du in jede beliebige deutsche Stadt.«
    In Hamburg gab es, wie ich gehört hatte, massig Arbeit, also fuhr ich dorthin. Kaum war ich aus dem Bahnhof raus, lief mir ein Ägypter über den Weg. Wie das Leben so spielt! Woran ich ihn erkannt habe, fragen Sie? An den Schuhen. Er trug welche von Bata … eine miserable Marke. Solche Dinger hatte ich auch mal, die kriegt man nur mit Juckpulver sauber.
    »Ach, wie schön, ein Landsmann!«, rief ich.
    Er bot mir einen Schlafplatz bei sich an, er wohnte zusammen mit fünf Ägyptern aus al-Gharbîja.
    »Du bist zwar mein lieber Freund«, sagte ich, »trotzdem zahle ich meine Miete im Voraus.«
    Über den Geldschein freute er sich. Einen ganzen Monat lang suchte ich wie verrückt Arbeit. Erfolglos. Dann wendete sich das Blatt, und eine Druckerei nahm mich als Lastträger. Die reinste Sklavenarbeit, nur mit dem Unterschied, dass Sklaven wohl etwas weniger rackern. Ständig kamen auf dem Fliessband Bücherangefahren, ich musste im Takt jeweils dreissig Kilo mit einem Handgriff wuchten und auf einer Palette stapeln. Dieses verdammte Band war gnadenlos, es lief in einem fort. Das hab ich nicht lange ausgehalten.
    Danach bekam ich Arbeit an einer Behindertenschule. Ich putzte dort aber nur jede dritte Woche und hatte dann zwei Wochen frei. Jedenfalls kam ich ein ganzes Jahr lang nicht gross weiter. Zwar lernte ich auf der Strasse ein paar Brocken Deutsch, doch ich merkte, dass Deutschland nichts für mich war. Gleichzeitig hörte ich, dass die Regierung in Italien allen, die sich illegal im Land befanden, eine Aufenthaltsgenehmigung erteilte. Nichts wie hin, dachte ich. Ich versuchte, jemanden zu finden, der mich mit dem Auto über die Grenze bringt, hatte aber kein Glück. Unerschrocken, wie ich bin, entschied ich mich für

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