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Arche Noah | Roman aus Ägypten

Arche Noah | Roman aus Ägypten

Titel: Arche Noah | Roman aus Ägypten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chalid al-Chamissi
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komme, worauf sie panische Angst ergriff, sie könnte zum Tode verurteilt und gehängt oder erschossen werden.
    Als sie in ihrer Verzweiflung zu weinen anfing, schenkte ihr eine der Russinnen zum ersten Mal Beachtung. Kaum hatten sie ein paar Worte gewechselt, fiel Darjas Name, der sich als der Schlüssel zum Paradies entpuppte. Die Mitgefangene stammte aus Kasachstan und nannte sich Diana. Ihr wirklicher Name war jedoch Risala, wie Sanâa zwei Wochen später erfuhr. Nach Dubai war sie eineinhalb Jahre zuvor mit knapp einundzwanzig gekommen. Sie stammte aus Almaty, der grössten Stadt und früheren Hauptstadt Kasachstans. Ihr Vater, Chauffeur von Beruf, war bei einem sinnlosen Streit mit ein paar Männern vor seinem Haus getötet worden. Damals war sie noch keine dreizehn Jahre alt gewesen. Ihr älterer Bruder, ein Trinker, schlug sich nach dem Tod des Vaters als Dieb durch und wurde knapp ein Jahr später zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt. An ihrem sechzehnten Geburtstag richtete die Mutter, die tatarischer Abstammung war, ein kleines Fest mit einer winzigen Torte für sie aus, zu dem sie einen etwa sechzigjährigen Mann einlud, den Risala noch nie zuvor gesehen hatte. Mit diesem Herrn sei Risala von nun an liiert, eröffnete ihr die Mutter. Im Gegenzug werde er sie beide ernähren. Die Mutter hatte allerdings nicht geahnt, dass er Risala zwingen würde, zehn Stunden täglich in einem seiner Restaurants zu schuften, und sie dafür die Schule aufgeben müsste.
    Diana ertrug Sanâas Tränen nicht, menschliche Schwäche war ihr zuwider. Verletzlichkeit zu zeigen, begriff sie als einen Akt der Selbsterniedrigung, was in ihren Augen unverzeihlich war. Doch aus Respekt vor Darja beschloss sie, der jungen Frau zu helfen, und informierte Galina, ihre Chefin, die wiederum Darja in Moskau anrief. Die beidenFrauen nahmen sich vor, Sanâa aus dem Gefängnis zu holen und sie nicht wie ursprünglich geplant Marys, sondern Galinas Obhut zu unterstellen.
    Die andere Russin, die buchstäblich an Diana klebte, hiess im wirklichen Leben Anfissa, nannte sich aber Nadeschda. Sie hatte die Züge einer Romni, jedenfalls war sie dem Aussehen nach weder Chinesin noch Slawin, noch Araberin, Seldschukin, Iranerin oder Tatarin. Sie hatte einen vollen Busen, aber ihr Gesicht wirkte noch recht kindlich. Sie machte den Eindruck, als sei sie erst zwei Tage zuvor dem Schoss ihrer Mutter in Machatschkala, der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Dagestan, entrissen worden.
    Galina holte die drei aus dem Gefängnis und zitierte sie an einen Tisch, um Klartext zu reden: »So, Mädels, nachdem ihr in Haft wart, könnt ihr auf keinen Fall länger in Dubai bleiben. Wir haben nicht die nötigen Beziehungen, euch ein zweites Mal herauszuboxen.« In gebrochenem Arabisch wandte sie sich an Sanâa: »Du hast ja mit Darja vereinbart, dass du auf eigene Kosten nach Dubai kommst. Also schuldest du uns nichts.« Dann wechselte sie ins Russische: »Und nun zu euch beiden. Ihr seid weggelaufen, bevor ihr eure Schulden bei uns beglichen habt. Ihr denkt wohl, die Reise hierher war gratis, was? Jedenfalls wisst ihr ja nun, was Ausreisser zu erwarten haben. Entweder sie kommen ins Gefängnis, oder sie landen wieder bei uns. Glaubt mir, wer uns verlässt, fällt früher oder später auf die Nase. Ihr seid auf unseren Schutz angewiesen, macht euch das klar! Wir kümmern uns um Pass, Visum, Aufenthaltsgenehmigung, garantieren euch Sicherheit und beschaffen die Kundschaft. Mit all dem gehen wir in Vorleistung. Was wollt ihr garstigenBiester denn noch? Trotzdem bin ich euch wohlgesinnt. Ich weiss ja, dass ihr noch so jung und unerfahren seid, dass man euch leicht den Kopf verdrehen kann. Wir haben beschlossen, einen Strich unter die Vergangenheit zu ziehen und ein neues Kapitel aufzuschlagen.«
    Plötzlich wechselte sie in ein Arabisch, das mit Englisch, Russisch und Darginisch gespickt war: »Hört zu, ihr müsst jetzt eine Entscheidung treffen. Entweder ihr geht zurück in eure Heimat, oder ihr fangt neu mit uns an. Wählt ihr Letzteres, dann schaffen wir euch ausser Landes. Wir besorgen euch neue Pässe mit neuen Namen und neuen Nationalitäten. Dann bringen wir euch wieder nach Dubai. Das Ganze kostet 15 000 Dollar. Die holen wir uns von euch zurück, indem wir die Hälfte eures Lohns einbehalten. Hier kommt ihr, wie euch ja bekannt ist, auf einen Tagesverdienst von 100 bis 200 Dollar. Das heisst, wir nehmen zwischen 50 und 100 Dollar pro Tag. Folglich habt

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