Arche Noah | Roman aus Ägypten
ihr eure Schulden in nur 200 Arbeitstagen beglichen. Eine einfache Rechnung.«
Die drei mussten nicht lange überlegen. »Wann reisen wir ab? Und wohin geht’s?«
R isala alias Diana kehrte nach Almaty zurück. Tags darauf flog Anfissa alias Nadeschda nach Machatschkala. Zu ihrem grossen Erstaunen traf sie keine ihrer Kolleginnen an, mit denen sie früher im Kasino zusammengearbeitet hatte. Die Behörden hatten zum 1. April 2006 die Schliessung sämtlicher Spielhallen in der dagestanischen Hauptstadt angeordnet.
Drei Tage nach Nadeschdas Abreise, am Freitag, dem 2. November 2007, wurde Sanâa bei Sonnenaufganggeweckt. Sie werde in die georgische Hauptstadt Tiflis fliegen, sagte man ihr.
»Keine Sorge«, beruhigte Galina sie, kurz bevor sie die Wohnung in Dubai verliessen, »eine Frau namens Asfir wird dich dort am Flughafen erwarten. Sie wird ein Schild mit deinem Namen hochhalten und alles Weitere erledigen, damit du so schnell wie möglich heil wieder herkommst.«
Kaum hatte sie die Boeing 747 bestiegen, sah Sanâa ihren Liebsten vor sich. Sie schloss die Augen und öffnete sie wieder. Nein, er war es nicht, er hatte nicht einmal annähernd Ähnlichkeit mit ihm. Nach zwei Schritten glaubte sie erneut, ihn zu erkennen. Sie starrte den Mann an, doch seine dunkle Hautfarbe war alles, was die beiden gemein hatten. Als sie endlich an ihrem Platz angelangt war, spürte sie ihre Aufregung, sogar ihre Gesichtsmuskeln zuckten. Sie schloss die Augen und hörte seine Stimme. Er sang ein Lied von Kârim Machmûd 52 :
Ach, meine Schöne, rette mich vor der Liebe.
Mein Herz ist krank, nur du kannst es heilen.
In seine schwarzen Augen versunken und erfüllt von dem Gesang, fühlte sie sich getragen von den Schwingungen seiner Stimme. Eine innere Ruhe überkam sie. Munîr war ihre erste, mittlere, vorletzte, letzte, ewige und unvergängliche Liebe. Als sie das Taxi angehalten, neben ihm auf dem Beifahrersitz Platz genommen und ihn angeschaut hatte, war es um sie geschehen. Amors Pfeil hatte sie mitten ins Herz getroffen.
Als er sie fragte: »Wohin soll’s gehen?«, verschlug es ihr die Sprache. Seine Stimme war schöner als die von Abdalhalîm Hâfis, mit der Nûr sie geplagt hatte. Ergriffen von seiner überwältigenden Schönheit, seiner Stimme, seinem Gesicht, seinen Augen und den geschwungenen Brauen, waren ihr die Tränen gekommen.
Nûr hatte sie verspottet: »Einen richtig beschissenen Geschmack hast du. Hättest dich mal lieber in einen Kerl mit heller Haut verlieben sollen! Aber nein, du lachst dir den erstbesten Schwarzen an. Ich habe mir deinen Zukünftigen immer weiss wie einen frisch angeschnittenen Rettich vorgestellt.«
Er war Nubier aus Assuan. Seinen Bruder Hassûna hatte er mit der ganzen Bürde allein zurückgelassen, nachdem ihr anderer Bruder, Nabri, nach Kuwait gegangen war und ihnen beiden die Verantwortung für das Boot übertragen hatte. Nun fuhr er in Kairo das Taxi eines Bekannten.
»Nach Muhandissîn in die Batal-Achmad-Abdalasîs-Strasse.«
»Warum kommst du so spät?«
»Ich bin müde, Munîr.«
»Was ist los mit dir?«
Doch ihr waren nur stumm die Tränen gelaufen.
»Um dieser Tränen willen würde ich mein ganzes Leben hierbleiben. Was wäre erhebender, als vor der Moschee der heiligen Aischa auf dich zu warten?«
»Und deinetwegen, Munîr, könnte ich mir jetzt hier das Leben nehmen.«
Sanâa hatte bewiesen, dass sie die Tochter ihres Vaters war. Sie hatte es geschafft, sich mit ihm zu verabreden. Erhatte keine Ahnung, was sie von Beruf war. Sie, viel klüger als er, hatte ihm glaubhaft vorgegaukelt, Sprechstundenhilfe in einer Physiotherapiepraxis in al-Maâdi zu sein. Unter Einsatz all ihrer Reize hatte sie versucht, ihn ins Bett zu zerren, um ihn mit Haut und Haaren zu verschlingen. Er aber hatte sie stets mit den Worten »Geduld ist der Schlüssel zum Erfolg« zurückgewiesen.
Inzwischen war sie sich sicher, dass er sie nicht liebte. Es war wohl eher eine einseitige Liebe, trotzdem hatte er ihr Leben erfüllt. Als sie ihm anvertraute, dass sie der Hölle entfliehen und in die Emirate gehen wolle, hatte er ihr gesagt: »Hier im Land ist es immer noch besser als anderswo.« Trotz dieser Überzeugung hatte er sie zu Mabrûk al-Manûfi gefahren, jenem Schleuser, der seinem Bruder für die Reise nach Kuwait zigtausend Pfund abgeknöpft hatte.
Hätte er nur einmal den Arm um sie gelegt, sie nur ein einziges Mal an sich gedrückt, sie wäre bis in alle Ewigkeit bei ihm
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