Arche Noah | Roman aus Ägypten
mich allerdings wunderte, war die Tatsache, dass ich bis zum Schluss die einzige Ägypterin in dem Team blieb. Doch Darja lehrte mich Dinge, die weit über das hinausgingen, was ich bei Nûr gelernt hatte. Nachdem ich anfangs nicht viel getaugt hatte, machte sie mich erst wirklich fit für das Ladybusiness.
»Sanâa«, sagte sie, »über eines musst du dir im Klaren sein: Das ist ein Geschäft, und zwar ein sehr wichtiges, das Ladybusiness. Es hat seine Regeln und Prinzipien und setzt ein umfassendes Trainingsprogramm, besondere Techniken und fundierte Kenntnisse in der Psychologie voraus. Dein Körper ist dein Kapital, also solltest du dich ihm jeden Tag mindestens zwei Stunden widmen, ihn reinigen, massieren und mit wohlriechenden Ölen und Essenzen behandeln. Sei nett zu deinem Körper, Sanâa, begehre und küsse jede Einzelheit, jede Falte, jeden Quadratzentimeter, so als seiest du frisch in ihn verliebt. Dein Körper sollte deine erste und deine letzte Liebe sein. Diese zwei Stunden sind erst der Auftakt. Anschliessend gilt es, die Stimme zu trainieren, um bei den Männern immer den richtigen Ton zu treffen. Mit Lauten kannst du nämlich Signale aussenden: Willst du das Ganze schnell hinter dich bringen, schlägst du eine bestimmte Klangfarbe an. Willst du es noch etwas länger hinauszögern, ist ein anderes Timbre vonnöten. Willst du einem müden Mann auf die Sprünge helfen, setzt du wieder andereAkzente. Ein ganzes Register, das du zu beherrschen hast. Ausserdem musst du dich um deine Kondition kümmern. Es gibt da gute Übungen zur Kräftigung der Oberschenkel und der Beckenbodenmuskulatur. So geht das … diese Bewegung ist grossartig, bis in den äussersten Punkt der Wirbelsäule ist sie zu spüren. Fühlst du es? Für die Übungen solltest du mindestens eine Stunde täglich einplanen. Das ist eine Wissenschaft, die sogenannte Fickologie. Die Sache beschränkt sich nämlich keineswegs nur darauf, die Beine breit zu machen.«
Darja war für mich nach Nûr die zweite Mutter. Durch sie lernte ich mich selbst spüren, zum ersten Mal fühlte ich mich wertvoll. Wie andere Geschäftsleute war ich nun auch eine Businesslady.
Plötzlich konnte ich meinen Körper und mich selbst lieben. Ich wuchs in die Höhe, bekam Rundungen und wurde schöner. Davor hingegen war ich voller Angst gewesen, Angst, wie Salâch Schahîn sie in zwei Versen beschrieben hatte: »Wer vom Vater verlassen wird, / den suchen die Wölfe heim.«
Überall hatte ich Wölfe lauern sehen, worin Nûr mich auch noch bestärkt hatte, diese herzensgute, aber einfache Frau. Mit Darja dagegen hatte ich das Gefühl, selbst zum Wolf geworden zu sein, ja alle Wölfe in mir zu vereinen.
Ich folgte ihren Regeln aufs genaueste und gab jedem Mann das Gefühl, er wäre mein Einziger und ich wäre in Liebe zu ihm entbrannt.
»Auch wenn er dir die Liebeserklärung nicht abnimmt«, sagte Darja, »freut er sich darüber. Männer sind wie Kinder, sie wollen gehätschelt und gelobt werden.«
Vier Jahre blieb ich bei ihr, als würde ich ein Studium absolvieren. Doch bevor ich meinen Master machen konnte, liess sie michim Stich. Eines Tages kam ich gerade mit Tatjana aus dem Salon, als Darjas Hausschuhe mit der Sohle nach oben mitten im Flur lagen. Augenblicklich krampfte sich mein Herz zusammen. Dann sah ich auf der Marmortheke an der Rezeption eine offene Schere liegen. Da wusste ich, dass etwas passieren würde.
Und am nächsten Tag war es so weit. Darja rief an. »Ich gehe nach Dubai«, sagte sie.
»Verlass uns nicht, Darja.«
»Ich habe das Ticket schon gebucht.«
»Aber was ist mit der Arbeit im Salon?«
»Vergiss es.«
»Und die Kunden?«
»Für die ist Tatjana zuständig.«
»Sie kann mich nicht ausstehen.«
Und tatsächlich, eine Woche nach Darjas Abreise eröffnete mir Tatjana, dass sie nur noch Russinnen beschäftigen wolle.
Knapp zwei Monate später rief Darja aus Dubai an: »Sanâa, ich brauche dich hier, wir suchen Ägypterinnen. Zwei Jahre hier bringen dir so viel Geld ein wie zwanzig Jahre in Ägypten.«
Ich setzte Himmel und Hölle in Bewegung, um dorthin zu kommen. Aber am Tag meiner Ankunft in den Emiraten starb Darjas Mutter. Sie reiste nach Moskau und liess mich allein zurück.
G erade einmal zwei Tage nach ihrer Ankunft in Dubai wurde Sanâa aus heiterem Himmel auf der Strasse verhaftet und ins Gefängnis von Schardscha gesperrt. Die Wärterinnen waren ganz und gar in Schwarz gehüllt. Man sagte ihr, dass sie bald vor Gericht
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