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Arche Noah | Roman aus Ägypten

Arche Noah | Roman aus Ägypten

Titel: Arche Noah | Roman aus Ägypten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chalid al-Chamissi
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Zwar liebe er Hassûna, aber er verstehe ihn nicht. Auf dem Weg zum Flughafen sei er vor nicht allzu langer Zeit in Kairo gewesen, habe jedoch abgelehnt, ihn zu sehen.
    Ich will lieber zu Fruchtsirup eingeladen werden, hätte ich am liebsten gesagt, immer nur Tee, wie langweilig! Reicht doch wohl, dass du jeden Tag für lau bescheuerten Tee bei deinem Onkel im Groppi zu trinken kriegst!
    In Asfirs Käfig gefangen, betrachtete ich unser Zuhause mit anderen Augen. Gemessen an dieser Höhle war unsere Kairoer Wohnung zwar auch kein Palast, aber mindestens eine Villa am Meer mit allem Drum und Dran. Hier war es so eng, dass man sich nur seitwärts bewegen konnte. Die Arme hielt man am besten senkrecht neben dem Körper. Sobald man sie nämlich auch nur minimal von sich streckte, stiess man an die Wand. Und dann dieser Sessel, auf dem ich schlafen sollte, dagegen war ja noch die Zelle in Schardscha ein Paradies.
    I n der ersten Nacht in Tiflis tat Sanâa kein Auge zu. Beharrlich rief sie den Engel des Schlafes, lockte ihn, schickte ihm Küsse durch den Äther, vergeblich. Er kam nicht. Irgendwann stand sie auf und schaute aus dem Fenster. Da begriff sie, was der Grund war: der Mond. Obwohl noch nicht zum vollen Ball gereift, schien er strahlend hell. Wieeine unbekannte göttliche Kraft schlug ihr das Licht förmlich ins Gesicht. In solchen Nächten liess sich der Engel des Schlafes nicht auf der Erde blicken, das wusste Sanâa genau. Sie schaute in den Himmel, und da sah sie in der Mondscheibe auf einmal Munîrs Gesicht.
    Am Morgen ging sie zusammen mit Asfir aus dem Haus. Doch das georgische Volk zwang sie, auf der Stelle umzukehren. Etwa 50 000 Menschen protestierten auf den Strassen der Hauptstadt. Zehntausende Demonstranten hatten sich vor dem Parlamentssitz versammelt und forderten den Rücktritt von Präsident Micheil Saakaschwili. Ausserdem verlangten sie angesichts der verheerenden Armut, die sich im Land breitmachte, vorgezogene Wahlen.
    Die Stimmung draussen war düster. In dieser angespannten Lage musste Sanâa den ganzen Samstag und Sonntag in Asfirs Palast zubringen. Während sie gedankenverloren dasass, erschienen ihr plötzlich Diana und Nadeschda, und sie musste unwillkürlich lächeln.
    Am Montagmorgen kam ein schmächtiger Mann mit Glatze vorbei und brachte sie in ein Fotostudio unweit des Hauses, um Passfotos von ihr machen zu lassen. Ihr neuer Name stehe fest, sagte er, von nun an heisse sie Assja. Den könne sie sich leicht merken, begründete er seine Wahl, denn wer würde schon den Namen des grössten Kontinents vergessen?
    M ein Vater beschützt mich. »Grossartig machst du das alles, mein Kind«, sagt er. »Du hast meine volle Unterstützung. Ich bin jetzt bei dir und sehe dich.« Ausserdem sendet er mir Botschaften von oben. Die letzte war zwar in Englisch abgefasst, und ich habekaum was verstanden, aber egal. Er hat sie mir durch einen glatzköpfigen Ausländer zukommen lassen, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Als er mich Assja nannte, lief mir ein Schauer über den Rücken. So heisst nämlich der einzige ausländische Roman, den Vater mir vererbt hat. Er hat mir jede Menge Bücher über Politik und Wirtschaft und ein paar Gedichtbände vermacht, aber nur einen einzigen Roman. Das Cover ist grün und am unteren Rand ein wenig eingerissen. Oben steht in grosser Schrift Assja. Geschrieben wurde das Buch von einem Russen, an dessen Namen ich mich nicht mehr erinnere, wahrscheinlich Iwan irgendetwas. Ich hatte es nicht zu Ende gelesen, ich war nur bis dahin gekommen, wo sich der Mann in Assja verliebt und sie verschwindet. Du verlässt ihn doch nicht tatsächlich, hatte ich geflucht, wie kannst du nur? Schliesslich findet man nicht an jeder Strassenecke jemanden, der einen liebt!
    Vater weiss genau, dass ich mich an den Titel erinnere. Und noch etwas ist auffällig: Wieso hatte ausgerechnet dieses Buch ganz oben auf dem Stapel gelegen? Glück? Nein. Auch kein Zufall, an so etwas glaube ich nicht, alles ist geplant und arrangiert. Dieses Buch hatte dort gelegen, damit mein Vater jetzt die Möglichkeit hat, mir zu verstehen zu geben: »Ich passe schon auf dich auf, meine liebe kleine Sanâa.«
    Er hat mir die Bücher nicht zufällig vererbt, nein, vielmehr sind sie ein Geheimcode zwischen uns beiden. Wenn er mir etwas sagen will, schickt er einen Boten mit dem Titel eines der Werke.
    Wie konntest du nur ohne die Bücher auf die Reise gehen, dummes Mädchen?
    Ich muss sofort zurück und sie

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