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Arche Noah | Roman aus Ägypten

Arche Noah | Roman aus Ägypten

Titel: Arche Noah | Roman aus Ägypten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chalid al-Chamissi
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geblieben. Aber seine Hände waren wie gefesselt gewesen, er hatte sich die Welt lieber aus der Ferne besehen. Ausserdem hatte er, wie ihr erst jetzt auffiel, für jede Fahrt Geld genommen, nie hatte er sie kostenlos irgendwohin gefahren. Es sei nicht sein Wagen, hatte er argumentiert, er habe ihn nur geliehen. Auch die Situation am Flughafen war seltsam gewesen. Als sie ihn zum Abschied umarmte, spürte sie seinen Widerstand. Am Ende hatte er verschämt das Fahrgeld bis auf den letzten Piaster eingesteckt. Nur ein einziges Mal hatte er jede Bezahlung abgelehnt und sogar alle weiteren Ausgaben auf seine Kappe genommen: am Tag, an dem Nûr beerdigt wurde.
    Beim Gedanken an jene Nacht brach Sanâa in eine Tränenflut aus, dass der junge Georgier neben ihr im Flugzeug sichtlich besorgt ein parfümiertes Taschentuch zückte, ihr die Wangen trockentupfte und ihr am Ende noch seine Telefonnummer in Tiflis gab.
    A sfir hatte zu ihrer Weiblichkeit eine Beziehung wie Mike Tyson zu der seinen. Sie war so gross wie breit und hatte einen schmalen Bart, der ihr Würde und Männlichkeit verlieh. Offensichtlich mangelte es Asfir nicht an Testosteron. Um aber ja daran zu erinnern, dass sie eine Frau war, trug sie über dem schütteren Haar ein scharlachrotes Kopftuch. Diese Absicht konterkarierte sie allerdings mit ihrer Kleidung. Streng in der Linienführung und khakifarben, glich diese einer Militäruniform.
    Als Sanâa sie mit dem Namensschild in der Hand am Flughafen stehen sah, glaubte sie im ersten Moment, eine Gefängniswärterin aus den Kellergewölben des KGB-Hauptquartiers vor sich zu haben. O Gott, dachte sie, bestimmt werde sie sie gleich verhaften, um ein brandneues Folterinstrument an ihr auszuprobieren, das ein sadistischer Weisser aus Südafrika gebaut hatte. Doch Asfir erwies sich als eine überaus liebenswerte Frau. Fürsorglich reichte sie Sanâa im Taxi auf der Fahrt vom Flughafen zur Wohnung fünfzig Lari mit den Worten: »Hier, für alle Fälle.« Ausserdem gab sie ihr einen Zettel mit ihrer Adresse und allerlei Telefonnummern. Beide unterhielten sich in einem rudimentären Englisch mit viel Pantomime. Doch ihre dürftigen Sprachkenntnisse reichten allemal, um die nötigsten Informationen auszutauschen. Als Asfir die Tür zu ihrerWohnung – ihrem Zimmer, genauer gesagt – aufschloss, auf einen verschlissenen Sessel zeigte und sagte: »Dein Schlafplatz«, verstand Sanâa auf Anhieb.
    A ls uns Munîr das erste Mal besuchte, war ich verlegen und deprimiert zugleich. Ich hatte vor ihm angeben wollen, aber das konnte ich schlecht, immerhin sah unser Haus so aus, als hätte es schon vor mindestens fünfzig Jahren einstürzen müssen. Krumm und schief stand es am Ende der Nagm-al-Dîn-Strasse beim al-Nasr-Friedhof. Um zu uns in den ersten Stock zu gelangen, musste man jede Menge kaputte Stufen überwinden. Und die wenigen, die noch heil waren, wiesen an den Rändern Bissspuren eines Fabeltiers mit mächtigen Zähnen auf, das sich ausschliesslich von Treppenhäusern ernährte.
    Man kam herein und befand sich gleich im Wohnzimmer, an das unmittelbar das Schlafzimmer anschloss. Dessen Fenster stand immer offen, denn Friedhofsluft regt ja, wie es so schön heisst, die Lebensgeister an. Sie fängt die umherschwirrenden Seelen der Toten ein und schleust sie den Lebenden mit dem Atem in die Brust. Deshalb werde ich wohl über hundert Jahre alt werden und auf diese Weise die Zeit, die meinem Vater genommen wurde, nachholen.
    »Ein Jammer«, hätte Nûr gesagt, wäre sie noch am Leben, »Munîrs Familie in Assuan lebt bestimmt in der Waschküche auf dem Dach, du wirst sehen.«
    Als klein habe ich unsere Wohnung früher nie empfunden, ganz im Gegenteil, ich hielt sie sogar für einen Palast. Das änderte sich erst durch die Arbeit, denn da lernte ich die wahren Paläste kennen, und ich erkannte, dass ich in einem modrigen Loch hause.
    »Löcher sind für die Ratten bestimmt«, sagte mein seliger Vater mit Vorliebe, »ich als Löwe aber habe meinen Platz auf den Berggipfeln.«
    Munîr war ebenfalls ein Löwe, ein Löwe der Gastfreundschaft. »Besuch uns doch mal in unserem Haus auf der Insel Assuan, und du bekommst einen schönen Tee zu trinken«, sagte er, als wir im Wohnzimmer beisammensassen. Dann kam er ins Erzählen. Das Haus stehe allen offen, dem Himmel, dem Nil, der ganzen Welt. Dort lebten jetzt aber nur noch die Frauen, denn nach Nabris Tod sei der Vater in den Sudan und sein älterer Bruder nach England gegangen.

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