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Arche Noah | Roman aus Ägypten

Arche Noah | Roman aus Ägypten

Titel: Arche Noah | Roman aus Ägypten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chalid al-Chamissi
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zum Mitschwimmen zu bewegen? Ich wollte damals meinen Vater fragen oder zumindest anregen, dass ich einen neuen Badeanzug bekäme. Doch im besten Alter starb er plötzlich und liess Mutter und mich allein zurück. Aber jetzt, nach über dreissig Jahren, bin ich so weit, dem Aufruf zu folgen. Endlich schwimme ich mit dem Anwalt gegen den Strom und schlafe mich einmal richtig aus.
    Ich habe mir einen Tag freigenommen und auch den Klavierunterricht abgesagt. Um achtzehn Uhr hätte ich einer neuen Schülerin in Samâlik eine Stunde erteilen sollen. Doch ich wollte den Tag heute ganz und gar für mich haben, ich wollte ziellos umherschlendern und mich vom Wind treiben lassen. Ich küsste meine Grossmutter, verliess das Haus und ging die Huda-Schaarâwi-Strasse entlang in Richtung Sulaimân-Pascha-Strasse. An der Kreuzung bliebich stehen und wartete, aber es regte sich kaum ein Lüftchen, das mich nach rechts oder links hätte lenken können.
    V ater packte meine Hand, hob mich bis auf seine Augenhöhe und kam mit dem Gesicht näher. Genau hier sei die Grenze, erklärte er, bis hierher dürfe ich gehen und keinen Schritt weiter. Ohne Begleitung solle ich mich nur in unserer Strasse bewegen, aber nicht in der Sulaimân-Pascha-Strasse, wo die Autos rasten. Am besten solle ich gar nicht erst bis ans Ende unserer Strasse gehen, sondern beim Restaurant Filfila wieder umkehren. Dann wuchtete er mich hoch auf seine breiten Schultern. Erhaben thronend, besah ich mir die Welt aus den Wolken. Mutter nahm meine Hand, und gemeinsam betraten wir die Gefahrenzone. Wir spazierten durch eine geflieste Passage und trafen vor einem Restaurant, in dem wir hin und wieder assen, zufällig Wladimir, einen engen Freund meines Vaters. Er hatte seine Tochter dabei. Von Vaters Schultern aus betrachtet, wirkte das Mädchen winzig klein. Ach, Vater, mein Lieber, seit du mich aus deinem Himmel hast fallen lassen, ist mein Genick gebrochen. Wie die Tochter deines Freundes hiess, weiss ich nicht mehr. Alle Namen sind mir entfallen, nur deinen trage ich auf den Schultern, so wie einst du mich getragen hast.
    Vater stammte aus Alexandria, kam 1962 nach Kairo und hatte zuvor als angesehener Ingenieur am Assuan-Staudamm mitgebaut. Kaum hatte er einmal von seinen technischen Büchern aufgeschaut, entdeckte er die jahrtausendealte ägyptische Zivilisation für sich, die ihn fortan nicht mehr losliess. Einen Menschen zu treffen, der Ingenieur und Dichter ist, kommt selten vor, viele halten das für unvereinbar.Vater aber war beides. Als Ingenieur liebte er den Staudamm, und als Poet liebte er Ägypten. Er kannte das Land von Norden bis Süden. Durch seine Arbeit am Staudamm wurde der Süden Teil seines Lebens. Von dort erkundete er nach und nach jeden erdenklichen Winkel des »schönsten Landes auf Erden«, wie er Ägypten nannte. Und bei einer dieser Touren erblickte er im Tempel der Hatschepsut meine Mutter Helena. Es war Liebe auf den ersten Blick mit dem Segen des Senenmut.
    Heute ist mein fünftes Lebensjahrzehnt angebrochen, ohne dass ich bisher aber der Liebe auf den ersten Blick begegnet wäre. Haben mir meine Eltern eine Lüge aufgetischt? War ihre Liebesgeschichte nichts als ein Märchen? Kann dieser Traum überhaupt in Erfüllung gehen? Oder hat das Schicksal nur mir dieses grosse Geschenk vorenthalten, weil ich, anders als Vater, kein krauses Haar habe?
    Genau dieses Geschenk hatte ich mir immer gewünscht. Ich bin aber nach wie vor voller Hoffnung und rede mir selbst gut zu, dass die Zukunft bestimmt noch viel besser wird als das, was hinter mir liegt. Irgendwann werden Nâzım Hikmets Verse von ihrem himmlischen Thron auch auf mein Leben herabrieseln, sonst bekommt er Ärger mit mir. Mein ungeduldiges Herz hat auf seiner holprigen Reise bisher keine richtigen Entscheidungen getroffen. Dennoch habe ich heute, von einem strahlenden Licht erfüllt, das Gefühl, dass mein Herz durch all die Feuer, an denen es sich versengte, eine gewisse Reife erlangt hat. Auf dem steilen, dornigen Pfad bergauf hat es so manche Attacken hinnehmen müssen: Hiebe, Messerstiche, Demütigungen. Manche Wunden sind tief, andere oberflächlich. Doch ich habe mirimmer vorgestellt, dass Schmerz und Freude zwei Seiten derselben Medaille sind. Jedenfalls ist mein Herz jetzt erst richtig bereit, das Geschenk anzunehmen. Bereit für die Liebe auf den ersten Blick, ja sogar auf den dritten Blick.
    Hatschepsut, Tochter der Göttin Hathor, verliebte sich auf den ersten Blick in

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