Arche Noah | Roman aus Ägypten
mache ich weitere 120 Dollar die Woche. Also verdiene ich in vier Wochen um die 2280 Dollar.«
»Und wer bezahlt die Miete?«
»Ich.«
»Und Strom und Gas?«
»Ich natürlich. Aber was sollen die Fragen?«
»Wie wär’s, wenn du bei mir arbeitest? Die Arbeit wird bei weitem nicht so anstrengend sein wie hier. Ich gebe dir 2000 Dollar im Monat. Ausserdem bekommst du ein Zimmer und einen Fernseher mit allen arabischen Sendern. Miete, Strom und Gas gehen auf mich und die Verpflegung selbstverständlich auch. Du kannst also das ganze Geld sparen. Was denkst du?«
»Eigentlich fühle ich mich hier sehr wohl. Ich habe nette Kollegen, und Herr Aiman ist ein angenehmer Chef.«
»Nimm dir Stift und Papier, und rechne es einmal durch. Addiere, subtrahiere, multipliziere. Das ist alles eine Frage der Kalkulation, Abdallatîf, und dann fällt die Entscheidung nicht mehr schwer.«
»Ich denke drüber nach.«
»Eine letzte Sache sollst du noch wissen, die für deine Kalkulation nicht unwesentlich ist. Es gibt da so ein blödsinniges Wort, das man in Ägypten ständig gebraucht: gesellschaftliche Solidarität. Die können wir für dich gern herstellen, natürlich nicht als karitative Massnahme, sondernals Gegenleistung für deine Kochkünste. Das heisst, du bekommst von mir Kleidung und Schuhe und musst nichts selbst kaufen. Also, dann kalkuliere mal, Tîfa. Aber triff deine Entscheidung schnell. Ich brauche sofort jemanden, mein Sohn kommt nächste Woche.«
I n Kolumbien wurden sie, wie Saîd erwartet hatte, nicht mit offenen Armen empfangen. Die Spannungen zwischen der Regierung und den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens hatten immer mehr zugenommen. Überall Militärpatrouillen, Söldner und Banden, bei deren Anblick Saîd angst und bange wurde. Einmal kam es ganz in ihrer Nähe sogar zu einer heftigen Schiesserei. Unverzüglich stoppte der Bus, sie hielten den Atem an und rührten sich nicht vom Fleck.
Am nächsten Tag ging es durch das Gebiet der berühmtberüchtigten Kokainbanden. Nach einem zweitägigen Fussmarsch kamen sie in ein Dorf. Dort wurden ihnen vierzig Esel zur Verfügung gestellt, auf deren Rücken sie drei Tage weiterritten. Kaum war er aufgesessen, schloss Abdallatîf sein Tier ins Herz. Die beiden hatten ihren Spass miteinander und konnten sich am Ende nur schwer trennen.
Als Kalu, der Nigerianer, hörte, dass es in der Gegend Kokainhändler gab, bat er, zu ihnen gehen zu dürfen, um sich Nachschub zu beschaffen. Seit ihm die Vorräte einige Tage zuvor ausgegangen waren, war er unleidlich und sorgte immerzu für Unruhe. Schliesslich zog Pedro die Pistole und erschoss ihn kurzerhand. Kalu, gross und kräftig gebaut, stand unmittelbar neben Abdallatîf und riss ihn im Fall mit zu Boden. Tausende Kilometer hatte er fern seiner Heimat,den Bergen von Obudu im Süden Nigerias, zurückgelegt, um in den Anden im Kokaingebiet zu enden und von einem Schwarm nordwärts ziehender Vögel begraben zu werden. Sie hoben ein grosses Loch aus, Saîd rezitierte Koranverse, dann warfen sie den Leichnam in die Grube, bedeckten ihn mit Erde und setzten ihren Weg fort.
Die Karawane zog immer weiter. Mal mit dem Bus, mal zu Fuss, mal auf Eseln, mal in Motorbooten. Die Grenze nach Panama umfuhren sie auf dem Pazifik in einem Boot. Auf panamaischem Boden angekommen, brach Saîd in hysterisches Gelächter aus. Irgendwie musste er schliesslich nach der Reise durch Kolumbien die innere Spannung loswerden.
Unermüdlich ging es weiter. Durch Panama, Costa Rica, Nicaragua, Honduras. Endlose Kilometer legten sie auf Serpentinenpfaden zurück, durch Schluchten, über Bergpässe: eine Strecke, die in den vergangenen zwanzig Jahren Abertausende von Menschen gegangen waren, um in die Vereinigten Staaten zu gelangen, auf der Flucht vor den blutigen Kriegen, die in den siebziger und achtziger Jahren in Mittelamerika tobten.
Endlich in El Salvador, nahm die Reise eine andere Form an. Sie wurden in Kühllaster verfrachtet, die dem Obsttransport dienten. Sie passierten die Grenze und fuhren quer durch Guatemala in Richtung Mexiko. Kurz vor der Grenze stiegen sie aus, legten einen weiteren Tagesmarsch zurück, durchschwammen einen Fluss und erreichten mexikanischen Boden. Wieder wurden sie in Obst-Lkws geladen. Jeweils eine halbe Stunde vor den Polizeisperren schalteten die Fahrer die Kühlung ein, so dass sich die Temperatur ander Kontrollstelle auf dem Gefrierpunkt befand. Kaum war sie passiert, wurden die Kühlschränke
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