Arche Noah | Roman aus Ägypten
Benzinpreise waren innerhalb eines Jahres um 410 Prozent und der Wechselkurs der Landeswährung Sucre zum US-Dollar im Jahr 1999 um 197 Prozent in die Höhe geschnellt. So war am 6. Januar 2000 der Ausnahmezustand ausgerufen worden.
Glücklicherweise hatten die politischen Aufstände keine Auswirkungen auf die Einreisebestimmungen für Ägypter. Ecuador blieb nach wie vor eines der wenigen Länder auf der Welt, das Ägyptern direkt bei der Einreise am Flughafenein Dreimonatsvisum ausstellte. Bürger der Mitgliedsstaaten des Golf-Kooperationsrats dagegen benötigten gar kein Visum. Und das, obwohl die ägyptische Botschaft – abgesehen vom libanesischen Konsulat – die einzige arabische Vertretung in Quito war.
Dank der Fürbitten seiner Familie erreichte Abdallatîf diesen ominösen Pedro problemlos. Er stammelte ein paar Worte auf Arabisch, so ausgesprochen, dass sie, wie er meinte, englisch klangen. Pedro verstand auf Anhieb. Abdallatîf wartete zwei Stunden am Flughafen, bis Mâsin erschien. Der junge Jordanier nahm Abdallatîf bei der Hand und führte ihn hinaus.
K aum trat ich ins Freie, hatte ich das Gefühl, mir würde die Luft abgeschnürt. Im Handumdrehen war ich klitschnass. Ich wollte atmen, aber es ging nicht. Japsend stand ich da und dachte schon, ich müsste sterben. »Keine Sorge«, beruhigte mich Mâsin, »die Luftfeuchtigkeit ist heute etwas hoch.« Von wegen »heute«, die ganze Zeit, die ich dort war, blieb es so. Junge, Junge, was für ein Klima! So was hatte ich noch nie erlebt. Fünf Minuten später überkam mich ein leichter Schwindel. Das liegt bestimmt daran, dass ich kaum Luft, dafür aber jede Menge Wasser in die Lunge bekomme, dachte ich. Ich hielt mir den Kopf mit beiden Händen. »Der Schwindel kommt von der Höhenluft«, erklärte Mâsin lachend. »Immerhin befinden wir uns fast 3000 Meter über dem Meeresspiegel.« – »Ich jedenfalls komme aus Fajjûm«, kommentierte ich. »Unser Lehrer, möge er in der Hölle schmoren … Also, dieser Lehrer, den ich immer mit Mutters Entenbraten bestach, damit er mich nicht durchfallen liess, hat uns eingetrichtert, dass unser Land vierzig Meter unter dem Meeresspiegel liegt. Dann saher mich an und sagte, dass das wohl erklärt, warum ich von solch niederer Wesensart sei.«
Mâsin fuhr einen alten Wagen. Ich sass einfach nur im Auto und schaute mir die Menschen an. Sie sahen komisch aus in ihrer weiten Kleidung und mit den grossen Hüten auf dem Kopf. »Was sind das für Leute?« – »Das sind Indios, sie stellen etwa dreissig Prozent der Einwohner.« Endlich waren wir da. Wir betraten eine grosse Blechbaracke. Auf dem Boden lauter ausgebreitete Decken und niedrige Holztische. Wir setzten uns. »Du wirst zusammen mit einer Gruppe reisen. Die anderen kommen noch. Wir warten, bis ihr insgesamt dreissig seid. Und dann geht’s auf nach Amerika.«
B is diese Zahl erreicht war, wartete Abdallatîf drei Wochen in der Blechbaracke. Pedro besuchte ihn hin und wieder. Er gehörte zu einer jener Schleuserbanden, die sich mit anderen Mittellosen aus Kolumbien und Mexiko zu einer internationalen Gang zusammengeschlossen hatten. Sie schmuggelten Arbeiter in die Vereinigten Staaten, in jenes Land also, unter dessen Regie ihr Unglück in hübsche Fläschchen abgefüllt wurde, seit der neue Präsident Ecuadors, Gustavo Noboa, die Erwartungen seines Volkes enttäuscht hatte. Statt sich darum zu bemühen, dass die Armut zurückgedrängt wird, die bereits siebzig Prozent der Bevölkerung erfasst hatte, interessierte ihn nur eines: mit Gewalt den Bau einer neuen Erdölpipeline durchzusetzen.
Abdallatîf war das Warten gewohnt. Sein Leben lang hatte er gewartet. Gewartet, dass der Mikrobus in Fajjûm sich bis auf den letzten Platz füllt, damit der Chauffeur losfuhr. Gewartet, dass sich am Himmel etwas Neues zeigt.Insofern störte es ihn nicht, als Erster in der Blechbaracke angekommen zu sein. Gemächlich kaute er die Minuten. Am nächsten Tag bezog ein seltsamer Kauz, ein Nigerianer namens Kalu, die Decke neben ihm. Tîfa konnte beim besten Willen keinen Zugang zu ihm finden. Im Laufe der folgenden Tage stiessen Männer unterschiedlichster Nationalitäten dazu. Die meisten stammten aus afrikanischen Ländern: Sierra Leone, Kongo, Guinea. Und weil das Glück, wie sich Tîfa oft brüstete, immer auf seiner Seite stand, traf schliesslich auch ein Araber ein. Er hiess Saîd, kam aus Marokko und war etwa fünfzehn Jahre älter.
Als sie vollzählig
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