Arche Noah | Roman aus Ägypten
herauskäme, seien horrende Anwaltskosten, obwohl das Urteil von vornherein feststehe: sofortige Abschiebung. Ich nahm die Beine unter den Arm und kam hierher.
Inzwischen konnte ich ordentlich etwas zusammensparen und schicke meiner Mutter alle drei Monate 600 Dollar. Das sind über 1000 Pfund im Monat. Das heisst, sie ist Gott sei Dank versorgt.
A bdallatîf addierte, subtrahierte, multiplizierte und kam zu folgendem Schluss: Bei Aiman zu kündigen und Akramal-Mungis Angebot anzunehmen wäre für ihn von Vorteil. Unter den Fittichen eines reichen Mannes, der mit eigenen Händen diesen Aufstieg geschafft hatte, wäre ihm die Sicherheit garantiert, die er seit dem Verschwinden seines Onkels Hassanain vermisste. Sonderbarerweise nahm er sogar eine gewisse Ähnlichkeit zwischen Akram und seinem Onkel wahr, vor allem in der oberen Gesichtspartie. Abgesehen davon beunruhigte ihn die Situation im Aladin. Aiman war nur noch selten da, weil er, so die Begründung, mit familiären Angelegenheiten beschäftigt sei. Seine ständige Abwesenheit zog mittlerweile erhebliche Verzögerungen der Lebensmittellieferungen nach sich, denn für die Bestellungen war Aiman zuständig. Der ausschlaggebende Punkt für Abdallatîfs Entscheidung aber war, dass er den baldigen Verrat deutlich spürte. Er war überzeugt, dass Hâgar die Scheidung einreichen würde, sobald ihr Aufenthaltsstatus gesichert wäre. Frauen haben so ihre Tricks. Den ersten Schritt hatte sie ja bereits getan, indem sie Mutter geworden war. Das amerikanische Gesetz ist so ausgestaltet, dass der Mann für den Verrat seiner Frau bluten muss. Im Scheidungsfall würde Hâgar die Hälfte des Lokals bekommen. Und wer weiss, welche Auswirkungen dieses Erdbeben auf ihn als Mitarbeiter haben würde. Hinzu kam, dass er, auch wenn er es sich selbst nicht eingestand, in permanenter Angst lebte, jeden Moment festgenommen und per Gerichtsurteil abgeschoben zu werden. Die Sache in Texas, dessen war er sich sicher, würde ihr Nachspiel haben. Jedenfalls wäre ihm mit Akram zweifellos der helfende Arm gereicht. Abschiebung war Abdallatîfs ständiger Albtraum. Nachts im Schlaf und auch am Tag.
Z wei Männer, mächtig wie Elefanten, mit blauen Augen, in phosphoreszierender blauer Plastikkleidung. Auf dem Kopf eine dunkelblaue Mütze, in der rechten Hand einen gelben Revolver, in der linken einen neonartig leuchtenden Knüppel. Sie brechen seine Tür auf, fallen über ihn her, während er schlafend im Bett liegt. Einer der beiden stösst einen markerschütternden Schrei aus und drischt mit dem blauen Schlagstock auf seine Stirn ein, immer wieder auf die gleiche Stelle. Genau auf die Stelle, an der die Kugel Saîd traf. Abdallatîf schreckt hoch, sein wollenes Unterhemd ist blutbesudelt. Da feuert der andere Mann den tödlichen Schuss auf ihn ab.
Farîd al-Mungi
I ch hasse Amerika und die Amis mit ihren karierten Hemden und ihrem beschissenen Geschmack. Solche Lackaffen wie die, die mich an der Uni tierisch nerven, laufen hier überall herum. Keine Ahnung, wie Papa das aushält. Aber typisch für ihn! Schliesslich hält er die Amis für das grandioseste, tollste Volk überhaupt. Wer verlässt schon freiwillig Europa für so ein fades Wischiwaschiland? Nichts als Highways, Strassen, dazwischen noch mehr Strassen und an jeder Ecke Big Malls, wow! So was Langweiliges gibt’s sonst nirgends. Echt ätzend dieses Land! Na ja, zum Glück bleibe ich nur ein paar Tage, und dann ciao bambino. Das einzig Gute hier ist dieser Tîfa. Seine Stimme ist einsame Spitze. Gestern habe ich zu Ehren von Angie auf der Gitarre Liebe meines Herzens gespielt. Und er hat dazu gesungen. Auf orientalischen Gesang fahre ich total ab. Aber ich selbst kann nur westliche Lieder singen. Zum Kotzen!
F arîd al-Mungi vereint in seiner Person alle Gegensätze des Dies- und des Jenseits. Er ist zartfühlend und grausam zugleich, spielt Gitarre und boxt. Er ist ein Dieb der übelsten Sorte und ein aufrichtiger Menschenfreund, ein Schürzenjäger par excellence und ein leidenschaftlicher Liebhaber, ein perfider Intrigant und ein bedingungsloser Altruist. Ausserdem ist er ein höchst ehrlicher Lügner. Wie kann ein Mensch von knapp einundzwanzig Jahren derart widersprüchlich sein? Wahrscheinlich, weil er ein waschechtes Kind der Kairoer Gesellschaft ist.
Am 22. August 2005 traf er, vom Flughafen Heathrow kommend, für einen dreizehntägigen Besuch bei seinemVater in den Vereinigten Staaten ein. Anschliessend wollte er
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