Arche Noah | Roman aus Ägypten
nach London zurück, um pünktlich zum Trimesterbeginn sein Studium an der Amerikanischen Universität Richmond fortzusetzen.
Am Tag nach seiner Ankunft wurde er um ein Uhr mittags von einem Klopfen an der Wohnungstür geweckt. Abdallatîf trat seine neue Stelle an, jedoch nicht ohne bessere Bedingungen für sich ausgehandelt zu haben. Für den Allroundservice inklusive Tischler- und Klempnerarbeiten, Autoreparaturen und allem, was sonst noch anfiel, bekam er von Akram al-Mungi statt der ursprünglich angebotenen 2000 nun 2300 Dollar Monatslohn.
»Guten Morgen, mein Herr. Ich bin Abdallatîf, der neue Koch.«
»Aha, der neue Koch. Bitte, immer hereinspaziert. Papa hat schon angekündigt, dass du heute kommst. Hier, das ist dein Zimmer. Stell deinen Koffer ab, ich zeige dir die Wohnung.« Farîd führte Abdallatîf zu einem kleinen Zimmer neben der Küche und wartete draussen, bis er seine Sachen abgestellt hatte.
»Herr Akram sagte mir, dass Sie vor mir schon einen Koch hatten.«
»Stimmt, eine Philippinerin, ein Zwerg von einem Meter fünfundzwanzig. Aber sie ist nicht mehr da. Na ja, sie konnte eben nicht kochen. Und weisst du auch, warum? Ganz einfach: Der Herd war zu hoch für sie. Eines allerdings muss man ihr lassen: Sie war Meisterin im Öffnen von Thunfischdosen. Aber nun haben wir ja dich. Du bist ein grosser Koch, hat Papa gesagt. Seit ich das weiss, habe ich mächtig Kohldampf. Wir essen ja seit Jahren nur inRestaurants. Ich kann’s kaum erwarten, mal wieder etwas Hausgemachtes in den Magen zu kriegen.«
»In der Hinsicht können Sie beruhigt sein. Mein Essen wird Ihnen so gut schmecken, dass Sie sich garantiert alle zehn Finger danach lecken. Aber nicht dass Sie aus Versehen Ihre Finger gleich mit verschlucken! Dafür kann ich dann nichts.«
»Sag mal, Tîfa … Du heisst doch Tîfa? Das jedenfalls hat mir Papa gesagt.«
»Ja, das stimmt.«
»Gut, Tîfa, hast du vielleicht eine Ahnung, wo man hier Haschisch auftreiben kann?«
»Also … um ehrlich zu sein … ich rauche nicht.«
»Dann frag deine Freunde. Enttäusch mich nicht, Tîfa. Und immer schön cool bleiben!«
F arîd war mit knapp sechzehn Jahren nach London gekommen. Seine Schwester Angie hatte nach dem Abschluss des Studiums an der Amerikanischen Universität in Kairo die Arche bestiegen. Sie hatte ihren Professor für Zeitgeschichte des Nahen Ostens geheiratet und mit ihm das Land verlassen. Kurz darauf war die Mutter gestorben. Nachdem diese auf vergeblicher Suche nach Heilung um die ganze Erdkugel gereist war, hatte sie schliesslich den Widerstand gegen die hartnäckige Bestie aufgegeben, die sie körperlich und seelisch zugrunde richtete. Wenige Monate nach ihrem Tod hatte Akram al-Mungi, genau wie er es später auch Abdallatîf ans Herz legte, eine Kalkulation angestellt. Dabei war er zu einem klaren Ergebnis gelangt: Würde er seine Geschäfte niederlegen, dann käme er bei weitem nichtauf die Summe, die ihm für seine langjährige Arbeit in der Finanz- und Geschäftswelt zukäme und die ihm einen würdigen Lebensabend bescherte. Er musste nicht lange überlegen, um eine Entscheidung zu fällen. Vier Monate später hatte er seine gesamten Besitztümer und Immobilien in Ägypten verkauft, so viel Geld wie möglich ins Ausland geschafft und selbst für immer das Land verlassen.
» I ch bin der glücklichste Vater auf der Welt. Endlich ist die Familie wieder vereint. Kinder, Kinder, über drei Jahre ist es jetzt her, dass wir alle beisammen waren. Immer wenn du zu Besuch nach Ägypten kamst, Angie, war Farîd in England. Und wenn du zu Besuch kamst, Farîd, war ich irgendwo in der Weltgeschichte unterwegs. Nicht einmal bei Mamas Beerdigung hatten wir Zeit miteinander, Angie. Du bist an dem Tag angekommen, an dem Farîd abgereist ist.«
»Ja, und wenn mich Papa in London besucht, bist du grundsätzlich verhindert, Schwesterchen. Immer ist irgendwas mit deinem Mann. Mein Mann hält einen Vortrag. Mein Mann hier, mein Mann dort … Was ist los mit dir? Machst du einen auf gehorsame Ehefrau, oder wie?«
»Was weisst du denn schon, Kleiner! Seit wir in Amerika sind, schuftet Kevin in einer Tour. Er hält Vorlesungen an der Uni, schreibt ein Buch über den Hisbullah und die Lage im Libanon von 2003 bis heute, reist von einer Konferenz über die Situation im Nahen Osten zur nächsten. Ich schaffe es ja nicht einmal, Papa zu sehen, der gleich nebenan im selben Land lebt.«
»Ich kapiere das nicht. Kevin hat viel zu tun, gut, das
Weitere Kostenlose Bücher