Arche Noah | Roman aus Ägypten
istja noch nachzuvollziehen. Aber was hat das mit dir zu tun? Wieso sitzt du ihm dauernd auf der Pelle?«
»Halt den Mund, Farîd. Seit du auf der Welt bist, fällt mir zu dir immer nur eins ein: dummer Eeeeeesel!«
»Nicht doch, Angie. Farîd ist kein Esel, er ist ein Rindvieh!«
»Hackt ihr jetzt alle auf mir herum?«
»Hören wir auf damit, Kinder. Wir wollen die Zeit friedlich miteinander verbringen. Ich habe Tîfa beauftragt, ein fürstliches Mahl zu bereiten. Es gibt Ente mit Kischk 12 und dazu Reis mit Fadennudeln. Ausserdem gibt es Okraschoten mit Ochsenschwanz im Steintopf. Ein absolut sensationelles Menü habe ich für euch zusammengestellt.«
A ngie Akram al-Mungi war am Tag nach Tîfas Arbeitsbeginn mit ihren drei Kindern Joseph (Jûssuf), Maya (Majj) und Alan (Alâa) angereist, von Selbstvorwürfen geplagt. Sie hatte sich hoch und heilig geschworen, nie mehr ihren Vater zu besuchen. Doch die Sehnsucht nach Farîd liess sie einknicken.
»Ich verstehe dich nicht«, platzte es aus ihr heraus, kaum dass sie ihren Bruder sah, »wie kannst du dich nur so gut mit Papa verstehen? Ich persönlich finde den Gedanken, dass unser Vater ein Dieb ist, unerträglich. Er hat die Bank bestohlen und sich aus dem Staub gemacht, das ist doch sonnenklar. Daran ändert auch alles Kaschieren, Retuschieren und Parfümieren nichts. Wie kannst du nur so blauäugig sein, ihm das Märchen von Zahlungsschwierigkeiten und Engpässen abzukaufen? Ich kommedamit nicht zurecht. Seit er hier ist, kann ich mich nicht überwinden, ihn zu besuchen. Ich schiebe irgendwelche fadenscheinigen Ausreden vor: Kevin ertrinkt in Arbeit, Kevin schreibt einen Artikel … oder was auch immer. Dann komme ich eben zu euch, sagt er. Nein, wehre ich ab, wir fahren auf eine Konferenz oder sonst wohin. Kevin blockt jede Diskussion über dieses Thema ab. Und wenn ich es trotzdem anspreche, kriege ich einen wissenschaftlichen Vortrag über den Nahen Osten zu hören. Kevin scheint auf dem Auge völlig blind zu sein. Jedenfalls ertrage ich den Gedanken nicht, dass unser Vater ein Dieb ist. Und mit dir kann ich darüber auch nicht reden. Mich macht das krank, Farîd.«
Obwohl Angie intelligent war, nahm sie ihren Bruder nur oberflächlich wahr. Vielleicht weil sie sich nicht die Mühe machte, ihn mit anderen Augen zu sehen. Vielleicht auch weil sie bei jeder Wendung seines Lebens viel zu sehr mit ihren eigenen Sorgen, Gefühlen und neuen Freunden beschäftigt war. So kannte sie Farîd schliesslich nicht besser als irgendein beliebiger Mensch, der ihn an einem trüben Morgen im Vorbeigehen grüsst.
» W as ist die früheste Erinnerung, die du aus dem Gedächtnis kramen kannst?«, fragte ein spanischer Kommilitone, den Farîd nie zuvor gesehen hatte. Das war einige Wochen zuvor bei einer Kiffsession, die sie zusammen im Haus der Eltern eines englischen Freundes abhielten.
Farîd wollte eine schnelle Antwort geben. Unter dem Einfluss des blauen Dunstes aber drifteten seine Gedanken ins Unterbewusstsein ab. Und plötzlich sah er sich.
Er sitzt auf dem Spielplatz des Gasîra-Sportklubs in Samâlik mit drei anderen Kindern im Sandkasten. Sie spielen und tauschen Eimer, Schaufel, Sieb und Harke, wobei sie kreischen und einander Fusstritte verpassen.
Farîd zog am Joint und tauchte tiefer in sich ein.
Er hört die schrille Stimme der Mutter. Sie zerrt ihn aus dem Buddelkasten. Er sieht sie an. Wutentbrannt dreht sie sich zu einer anderen Mutter um und keift: »Ihr Sohn hat sich Farîds Sachen genommen. Er soll sie auf der Stelle zurückgeben. Kaufen Sie Ihren Gören gefälligst eigenes Spielzeug, dann brauchen sie keins zu klauen.«
»Lassen Sie die Kinder doch spielen!«, antwortet die Frau verwundert.
»Mein Sohn hat seine Sachen. Und die gehören ihm ganz allein!«
»Aber Kinder spielen nun mal hin und wieder mit den Sachen der anderen.«
»Ich will das aber nicht. Niemand hat sich am Spielzeug meines Sohnes zu vergreifen, basta!«
»Lassen Sie Ihren Sohn doch einfach machen. Er muss lernen, allein klarzukommen. Wenn er in ein paar Jahren zur Schule geht, sind Sie auch nicht immer zu seiner Verteidigung da.«
»Sollte meinem Sohn in der Schule auch nur einer zu nahe kommen, dann bauen wir ihm eine eigene Schule.«
Wieso konnte sich Farîd auf einmal so genau an all diese Einzelheiten erinnern? Wieder zog er am Joint. Tief und kräftig.
Die Mutter bringt ihn weg und setzt ihn in einen Sandkasten ohne Kinder. Er ist wie erstarrt.
Farîd öffnete die
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