Arche Noah | Roman aus Ägypten
als erwartet, und er war es nicht gewohnt, sichernsthaft um etwas zu bemühen. Am Ende konnte er gerade einmal mittelmässig Gitarre spielen.
Zweitens misslang ihm das Dichten. Seine Verse kamen eher einem Gestammel gleich.
Drittens verliebte sich Mariam in Karîm, den Handballstar des Gasîra-Klubs. Er hatte von seiner englischen Mutter lange blonde Haare geerbt, die ihm lässig in die Stirn fielen. Farîd war felsenfest davon überzeugt, dass seine kurzen schwarzen Locken sein ärgster Feind und der eigentliche Grund für sein Pech waren.
V om Wind lasse ich mich treiben,
wohin ich ziehe, hab’ ich nicht in der Hand
Farîd spielte auf der Gitarre das Lied von Balîgh Hamdi 14 , den Asîs sehr verehrte. Die Augen geschlossen, vergegenwärtigte er sich den erdigen Geruch und die Löwen mit den orangefarbenen Flügeln, die seinem Onkel im grossen Saal die Treue hielten. Farîd sog Abdallatîfs Stimme in sich auf, die mit ägyptischer Melancholie den Nil heraufbeschwor. Die Brust von Sehnsucht erfüllt, öffnete Farîd die Augen und sah, dass seine Schwester im Sessel eingeschlafen war und sein Vater, Zigarre rauchend, ins Leere starrte.
Er stammte offensichtlich aus einer anderen Welt als sein Vater und seine Schwester, aus einer anderen Galaxie. Sein einziger Seelenverwandter in diesem Amerika der Karohemden war Tîfa. Mit flehendem Blick bat er ihn weiterzusingen. Tîfa tat es gern, denn Singen war seine Leidenschaft.
U nter grösster Anstrengung und mit Scharbînis Hilfe gelang es Abdallatîf, ein Stück echtes afghanisches Haschisch zu kaufen. Marihuana und Heroin waren auf dem Markt ohne weiteres erhältlich, Haschisch dagegen war in diesem Teil der Welt offenbar nicht gefragt, oder Scharbîni war auf dem Gebiet schlicht genauso unbewandert wie Tîfa. Er hatte versucht, sich aus der Affäre zu ziehen. »So ein armer Schlucker wie ich kennt sich auf dem Drogenmarkt doch gar nicht aus«, hatte er Farîd erklärt. »Es ist so, als würde man von mir erwarten, dass ich weiss, wo es Helikopter zu kaufen gibt. Unsereins muss jeden Cent umdrehen. Da sind keine Extravaganzen drin und Drogen schon gar nicht!«
Farîd aber beharrte auf seinem Willen und bekam ihn am Ende auch. »Du bist echt cool, Tîfa. Ich brauche heute einfach eine Dröhnung, sonst wird der Abend ein Reinfall für alle Beteiligten.«
»Jetzt kenne ich die Quelle, Farîd. Sollten Sie also wieder etwas wünschen … das ist kein Problem mehr.«
»In London gibt es einen Nigerianer, Kalu heisst er. Ein Anruf, und er besorgt einem den besten Stoff.«
»Heissen etwa alle Nigerianer Kalu? Gott sei deiner Seele gnädig, Kalu.«
»Kennst du einen Kalu, der gestorben ist?«
»Ja.«
»Nicht auszudenken, wenn mein Kalu sterben würde! Das wäre der Super-GAU. Ohne Haschisch geht bei mir gar nichts.«
A m Freitag, dem 31. Dezember 1999, um Viertel nach elf hatte Farîd auf dem Weg zur Silvesterparty seinen erstenJoint geraucht. Er war fünfzehn Jahre plus knapp einen Monat alt. Es war der 23. des Monats Ramadan. Deshalb wollte seine Clique an dem Abend auf Alkohol verzichten. Haschisch im Ramadan sei bestimmt nicht so schlimm wie Whisky, meinten sie und beschlossen, »auf Nummer sicher zu gehen«.
Am Morgen hatte der Dealer vor der Schule, als sie sich als Neulinge auf dem Gebiet outeten, die Joints für sie gedreht. Eine Schachtel mit zwanzig nicht zu knapp gefüllten Zigaretten hatte jeder bekommen. Am Abend ging Farîd auf eine Party in einem Klub am Nilufer in Gisa. Massen von Menschen drängten sich in dem Saal, so dass er kaum einen Fuss auf den Boden bekam. Im Getümmel rauchte Farîd einen Joint nach dem anderen. Von den Tanzenden wie von einem Strudel mitgerissen, wurde er durch den Raum gewirbelt. Sein dröhnender Schädel kreiste mit und fand aus dem Drehwurm nie mehr heraus. Als die Uhr das neue Jahrhundert einläutete, küsste er in seiner Vorstellung die zarten Lippen seiner Angebeteten und freute sich, sie in wenigen Stunden zu sehen.
Um halb sechs Uhr morgens machte er sich auf ins Hotel Jolie Ville, wo anlässlich des tragischen Ereignisses eine Trauerfeier stattfinden sollte, an der seine ganze Klasse teilnahm. Auf dem Weg zur Haramstrasse sprach er sich immerzu den Satz vor, den er Mariam zum Tod ihrer Angehörigen sagen wollte. Ihr Onkel samt Frau und Kindern war ums Leben gekommen. Mariams Familie hatte sich bis zuletzt noch einen Funken Hoffnung bewahrt, doch dann vermeldeten die Zeitungen am 31. Dezember 1999 die traurige
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