Arche Noah | Roman aus Ägypten
er sein Studium fortsetzte. Ich weiss noch, als ich 1975 das erste Mal nach Frankreich reiste, das Hin- und Rückflugticket kostete ungefähr 140 Pfund. Damals fuhr ich nach Marseille, die Stadt war weitaus heruntergekommener als Alexandria. Danach besuchte ich Italien. Ärmliche Verhältnisse herrschten dort, dagegen ging es uns in Ägypten blendend. Von Griechenland ganz zu schweigen, wo ich 1976 war. Im Vergleich zu denen waren wir geradezu eine Grossmacht. Jetzt hinken wir Griechenland um Jahrzehnte hinterher.
Eines ist wirklich beeindruckend an Kanada: Nicht einen Moment habe ich mich dort als Fremde gefühlt. Auf den Strassen sieht man Menschen aller Hautfarben und Glaubensrichtungen, Menschen in kurzer und in langer Kleidung, mit Kreuz und mit Kopftuch.Keiner stört sich am anderen. In der U-Bahn zum Beispiel, die brechend voll war, trug ich kurz, aus Rache an den Zuständen in Ägypten. In Kanada ist aber keiner auf die Idee gekommen, mir eine Moralpredigt zu halten. Und fehl am Platze habe ich mich auch nicht gefühlt. Es gibt Ägypter, Inder, Marokkaner, Griechen, Libanesen, Syrer, Iraker, Hispanos – sie alle sehen uns ähnlich. In Paris, London oder Rom beispielsweise fühle ich mich als Ausländerin, als Schwarze gar behandelt und irgendwie abgelehnt. In Kanada dagegen nicht, dort gibt es Menschen in allen Schattierungen.
A nfang August flogen die Scharubîms heim, beseelt von dem, was sie in Kanada erlebt hatten. Gleich im Anschluss fuhren sie für zwei Wochen in ihr Haus im neuen Diplomatendorf an der Nordküste. Braungebrannt und erholt kehrten sie zum Beginn des Schuljahres in den Kairoer Alltag zurück. Ans Auswandern dachte keiner mehr. Die Bearbeitung des Antrags bei der kanadischen Botschaft würde ohnehin ihre Zeit dauern, mitunter bis zu drei Jahre. Nivîn kam allmählich zu dem Schluss, dass Priester Estephanos recht gehabt hatte. Die Heimat zu verlassen war unsinnig. Aber sie stimmte auch Nabîl zu, der von Anfang an der Meinung gewesen war, dass sie auf jeden Fall den Antrag auf Einwanderung nach Kanada stellen sollten, um im Katastrophenfall flüchten zu können. Bliebe die Katastrophe jedoch aus, dann läge es näher, im Land zu bleiben.
H ussain Jusri war der Erste aus der Tennisclique, der einen Fluchtplan erstellt hatte, um im Notfall gewappnet zu sein. Das war 1988, nachdem sich Mubârak die Herrschaft zum zweitenMal gesichert hatte, obwohl ihm laut eigener Aussage bei Übernahme der Präsidentschaft 1981 eine Amtsperiode völlig reichte. Wie dem auch sei, jedenfalls überraschte uns Hussain mit einer unerwarteten Neuigkeit. Er habe einen Antrag auf Einwanderung nach Neuseeland eingereicht, platzte er heraus. »Ich ziehe auf die Insel der Träume«, verkündete er theatralisch, »ins Land der Freude und des Glücks, und euch lasse ich hier im Land der Mühsal und der Plagen zurück.«
Die Sache mit den Papieren zog sich lange hin. Wir rechneten mit ihm die Punkte zusammen, die er für Ausbildung, Alter, Beruf und Kinder bekommen würde. Es war schon komisch, plötzlich fühlten wir uns um Jahre zurückversetzt. Wie die Schulkinder zählten wir Punkte, die so schwierig zu ergattern waren, dass man hätte meinen können, die Lehrer schnitten sie sich aus dem eigenen Fleisch. Zu guter Letzt kam Hussain auf mehr Punkte als nötig und erhielt den Einwanderungsbescheid. Daraufhin musste er nach Neuseeland fliegen, um allerlei Behördengänge zu erledigen. Eine Reise ans Ende der Welt, achtundzwanzig Stunden Flug. Zuerst ging es nach Wellington, dann weiter nach Christchurch. Er wusste selbst nicht, warum er sich für diese Stadt entschieden hatte. Drei Wochen später war er wieder zurück. »Alles klar, Leute«, berichtete er. »Dort gibt’s massig Fleisch, für Nahrung ist gesorgt. In Neuseeland leben ungefähr vierzig Millionen Schafe und sonstiges Viehzeug und nur drei Millionen Menschen. Das heisst, die könnten wir alle ins Schubrâ-Viertel quetschen, und dann machen wir uns über die Schafe her, bis wir sie alle verputzt haben. Das Schlimme ist, dass ich jedes Jahr dorthin muss. Wie ein Beamter hat man seine Anwesenheit per Stempel nachzuweisen.«
Natürlich wollte er nicht auswandern, es sei denn, es passierte eine Katastrophe, die Muslimbrüder ergriffen die Macht, eineHungerrevolte bräche aus oder wir würden erneut von Saudi-Arabien besetzt. Eine richtige Katastrophe also. Und siehe da, bis heute lungert er im Klub mit seinem neuseeländischen Pass herum. Klar, dass wir
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