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Arche Noah | Roman aus Ägypten

Arche Noah | Roman aus Ägypten

Titel: Arche Noah | Roman aus Ägypten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chalid al-Chamissi
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unglückseligen Tages ausgegraben: Geburtsurkunden, Zeugnisse, die Heiratsurkunde, Bescheinigungen über Arbeit, Einkommen und Ausbildung. Sämtliche Papiere hatte Nabîl zusammengetragen, vom ältesten Schriftstück bis zum jüngsten, von behördlicher oder halbamtlicher Stelle ausgestellten Wisch. Nur das Toilettenpapier hatte er an Ort und Stelle hängen lassen, bot dem Berater aber an, die blaue Rolle bei Bedarf gern nachzureichen. Doch der Mann war zu beschäftigt, um zu schmunzeln, stattdessen stellte er die Bedingungen klar. Im Erfolgsfall seien ihm für seine Bemühungen 4000 kanadische Dollar zu bezahlen, ein Betrag in gleicher Höhe seian die kanadische Botschaft zu entrichten. Ausserdem kämen dann weitere Kosten auf sie zu: für den Flug und für etwa zwei Wochen Logis, denn so lange dauere es, bis ihnen die Aufenthaltspapiere ausgehändigt würden. Der Berater nahm den Scheck über die erste Rate seines Honorars entgegen und verliess den prunkvollen Saal, wohl um sich einer anderen Familie im Nebenraum zu widmen. Eine hübsche Frau in schlichter, aber offensichtlich teurer Kleidung kam herein. Sie prüfte mit schnellem Blick die Unterlagen und versicherte, dass ihre Chancen überaus gut stünden, insbesondere weil alle drei Kinder im schulpflichtigen Alter seien und ihre Verwandtschaft in Kanada gut situiert sei. Zweifellos bekämen sie die erforderlichen Punkte zusammen, die nötige Gesamtzahl belaufe sich auf 134 Punkte, wovon jeder Ehepartner mindestens siebenundsechzig beizutragen habe. Allerdings würden ihnen von vornherein aus Altersgründen achtzehn Punkte abgezogen, denn Nabîl habe das einundvierzigste Lebensjahr bereits überschritten. Ausserdem würde er weitere zehn Punkte verlieren, da er kein Jobangebot aus Kanada nachweisen könne. Nabîl fragte sich, wie man denn eines bekommen könnte, das zwei Jahre lang aufrechterhalten würde. Im Grunde aber wollte er sich nicht näher mit den Einzelheiten befassen, schliesslich bezahlte er ja den Berater dafür, dass er kanadischen Regeln entsprechend addierte, subtrahierte und dividierte.
    S eit mehreren Jahren komme ich nicht voran, ich mache einen Schritt vor und zwei zurück. Ich habe eine Schwester in Québec, und Nabîl hat eine Schwester in Houston und eine in Ontario. Wir erörtern jetzt schon eine ganze Weile, ob wir in Ägypten eineZukunft haben. Die Frage ist schmerzhaft, sie fühlt sich an wie ein Messer an der Kehle. Es gibt viele Gründe wegzugehen. Die Gesellschaft wird zusehends islamisiert, was dem Konzept der Gleichheit aller Bürger widerspricht. Wer finanziert diese Islamisierung? Keiner weiss es. Wie hat es der Staat geschafft, in nur dreissig Jahren das Auftreten der Menschen in der Öffentlichkeit dermassen zu verändern? Keiner weiss es. Eigenartigerweise können sich die Leute nicht einmal mehr erinnern, wie sie vor dreissig Jahren gelebt haben. Ich spreche nicht nur vom Kopftuch und vom Nikâb, sondern von den vielen kleinen Dingen. Es gibt Beispiele ohne Ende. Hat EgyptAir früher in ihren Maschinen vor dem Start etwa Koranverse abgespielt? Natürlich nicht! Ich brauche sie nur zu hören, und schon wird mir jedes Mal angst und bange. Musste man vor zwei, drei Jahren etwa seinen Ausweis vorlegen, wenn man im Ramadan ein Bier bestellte, weil das nur Ausländern erlaubt ist? Natürlich nicht! Man hat vergessen, dass es in diesem Land auch Christen gibt! Ich weiss, das sind alles Kleinigkeiten. Aber letzten Endes sind es doch die Kleinigkeiten, die das Leben ausmachen. Inzwischen sind wir schon so weit, dass es rein christliche Schulen gibt. Das Gleiche gilt für Krankenhäuser, manche werden vorwiegend von Christen aufgesucht, andere von Muslimen. Mein Mann hat mich auf eine höchst eigenartige Sache aufmerksam gemacht: Es gibt kaum namhafte christliche Fussballspieler, man kann sie an einer Hand abzählen. Und warum? Weil alle Trainer Muslime sind und christliche Spieler ablehnen. Religiöse Diskriminierung zeigt sich in allen Bereichen. Das hat es vor dreissig Jahren nicht gegeben. Richtig schlimm würde es, wie Nabîl und ich immer sagen, wenn die Muslimbrüder eines Tages die Herrschaft übernähmen und auf die Idee kämen, eine Kopfsteuer für Nichtmuslime einzuführen. Dann würden wir zu Bürgern dritter, wenn nicht garsiebenter Klasse degradiert. Und am Ende hätten wir hier genauso eine hierarchische Gesellschaft wie in den Golfstaaten.
    D oktor Nivîn sass am Freitagmorgen im Klub und trank einen Guaven-Milch-Shake.

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