Arche Noah | Roman aus Ägypten
Um sie herum waren alle Tische und Stühle frei. Voll wurde es im Allgemeinen erst unmittelbar vor dem Freitagsgebet, denn viele Mitglieder kamen zum Beten in den Klub. Und anschliessend strömten Massen von Menschen ins Lokal, so dass man unmöglich noch einen Platz ergattern konnte. Doktor Nivîn trank ihr Glas in einem Zug aus und bestellte beim Kellner einen Bananen-Milch-Shake.
Meine Kinder besuchen jetzt internationale Schulen, die dem englischen oder amerikanischen System folgen. Die Zustände vorher waren nicht mehr tragbar, sie bekamen in den Fächern Arabisch und Sozialkunde islamische Texte vorgesetzt. Ich rede nicht von islamischer Geschichte – dass man sich mit ihr auseinandersetzt, ist selbstverständlich. Nein, ich rede von Religion. In rauen Mengen mussten sie elend lange Koranverse lesen, und man durfte nichts dagegen sagen. Die Arabischlehrer gaben mit Vorliebe Aufsätze zu rein islamischen Themen auf. Als andere Lehrer kamen und trotzdem alles beim Alten blieb, war klar, dass das Anordnungen von oben sind. »Warum der Erzengel Gabriel dem Propheten Muhammad im Ramadan erschien« lautete das Thema des letzten Aufsatzes, den Michael schreiben musste und bei dem ich ihm half. Und das im Arabischunterricht! Im Fernsehen sieht es auch nicht besser aus. Die islamischen Programme nehmen überhand, während christliche Sendungen völlig verbannt worden sind. Genau die gleiche Entwicklung wie im Bildungswesen. Das Ganze laut zu hinterfragen ist mittlerweile unmöglich.
Von den Minaretten werden wir derart beschallt, dass uns ständig der Kopf dröhnt. Das geht nicht nur den Christen so, sondern etlichen unserer muslimischen Freunde auch, aber keiner kann sich dem widersetzen. Jussuf Idris, Gott hab ihn selig, hat in den Zeitungen heftig dagegen gewettert. Viele andere genauso, soweit ich weiss auch Achmad Bahâa al-Dîn 31 . Heute jedoch macht ausser ein paar wenigen vom Weg abgekommenen Muslimen keiner mehr den Mund auf.
Meine Tochter hat inzwischen Angst, mit unbedecktem Haar und Kreuz am Hals auf die Strasse zu gehen. Christinnen in der Öffentlichkeit wirken fast schon fremd, geradezu wie Ausländerinnen. Hinzu kommt, dass wir uns im Klub und auf der Strasse allerhand Beleidigungen anhören müssen. Ganz zu schweigen von den Freitagspredigten, in denen über Lautsprecher richtiggehend Hetze betrieben wird. Wo soll das nur enden?
Ja, dann geh doch, mag da so mancher sagen. Aber das ist mein Land. Die Geschichte meiner Vorfahren reicht Tausende von Jahren zurück. Wie soll ich da einfach verschwinden?
A m 15. Juli 2005 sass die Familie am Flughafen und wartete auf die Maschine. Nabîl las Zeitung: Der Grossmufti von Saudi-Arabien, Seine Eminenz Abdalasîs Ibn Abdallah Al al-Scheich, habe die Bombenanschläge in der britischen Hauptstadt, bei denen Dutzende Menschen getötet wurden, in zwei Erklärungen verurteilt. Ebenso verurteile er die Ermordung von Botschafter Ihâb al-Scharîf, Leiter der diplomatischen Vertretung Ägyptens in Bagdad, Anfang dieses Monats. Beide Attentate betrachte er als ein Verbrechen an Unschuldigen. Dies seien Gräueltaten, denen gewaltsamund auf verleumderische Weise ein religiöses Gewand übergestülpt worden sei. Er betonte, dass Attentate auf Einzelpersonen oder Gruppen, Bombenanschläge, die Zerstörung von Eigentum und die Verbreitung von Angst und Schrecken Verbrechen gegen die Menschlichkeit seien. Der Islam trage daran keine Schuld. Nabîl Scharubîm war beruhigt. Dann war es so weit. 2 Uhr 20, die Maschine der Air France nach Paris hob ab. Von dort ging es weiter nach Montreal. Die Familie wollte sich einen Eindruck vom Leben und insbesondere von den Universitäten und Schulen in Kanada verschaffen.
Eines aber brachten die Zeitungen an jenem Tag nicht, ebenso wenig an den folgenden Tagen: die Nachricht vom Untergang eines Bootes im Mittelmeer, auf dem Ägypter waren, die ebenfalls der Hölle zu entkommen gesucht hatten.
W enn Nabîl Scharubîm im Leben etwas heilig war, dann seine Tennistermine. Dreimal die Woche spielte er mit seiner alten Clique, die sich seit über zwanzig Jahren unverändert in der gleichen Konstellation traf. Das hatte für ihn höchste Priorität. An zweiter Stelle folgte, morgens um 8 Uhr 30 die Apotheke zu öffnen. Das hatte auch schon sein Vater so gehandhabt, jeden Tag auf die Sekunde zur gleichen Zeit, bis er starb. »Wäre ich nicht schon Apotheker, dann würde ich mir wünschen, einer zu sein« hatte sein Motto gelautet.
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