Arche
gemeinsame Tochter allein großzuziehen. Doch zwei Jahre später war sie an Leukämie gestorben. Hätte er ihre letzte Nachricht verloren, wäre selbst Utopia bedeutungslos für ihn geworden.
Trotz der Dunkelheit fand er sein Zimmer. Er nahm den Brief an sich, schloss die Tür hinter sich und ging wieder die Treppe hinunter.
Den Weg durch die Eingangshalle hatte er gerade zu drei Vierteln zurückgelegt, als sich das Portal öffnete. Zwei schwarzgekleidete Wachen kamen herein. Der eine war ein großer Weißer mit einem leisen Lächeln, der andere ein kräftiger Afroamerikaner. Er kannte sie nicht, aber er war ja erst so kurz hier, dass ihm die meisten Wachmänner fremd waren.
Er hatte wohl zu lange gebraucht. Deshalb hatte man jemanden
geschickt, um ihn zu holen. Ihm war das egal. Er hatte, was er wollte. Nun war er bereit für die neue Welt.
»Wie heißen Sie?«, erkundigte sich der größere der beiden Männer.
»David Deal. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat. Dr. Ulric hat mir die Erlaubnis erteilt, etwas aus der Lodge zu holen.«
»Und nun sollen Sie zurückkommen, und wir sollen Sie begleiten.«
Deal zuckte mit den Schultern, als er in den Geländewagen stieg. Er war ja schon auf dem Rückweg, die Begleitung schien ihm doch ein wenig zu viel des Guten.
Aus Erfahrung wusste Tyler, dass man an Sicherheitskontrollen am besten vorbeikam, wenn man selbstsicher auftrat. David Deal hielt ihn für einen der Wachmänner, also gab Tyler vor, einer zu sein. Dennoch ließ ihn das ungute Gefühl nicht los, dass es vielleicht doch nicht so einfach war, Oasis zu betreten. Deal konnte er natürlich nicht fragen, sonst hätte dieser bemerkt, dass etwas nicht stimmte. Er würde improvisieren müssen, ging es Tyler durch den Kopf. Grant, der Captain und ihr Fahrer Knoll sollten im Auto warten. Sie würden über ihre Kopfhörer verfolgen können, was geschah, und so wissen, wann sie ihm folgen mussten.
Das Gelände vor dem Eingang war in helles Licht getaucht. Tyler stieg aus dem Auto, David Deal folgte. Als Tyler die Tür hinter ihm zuschlagen wollte, wandte sich Deal zu ihm, hielt plötzlich inne, starrte an Tyler vorbei auf den Captain und beugte sich mit großen Augen vor.
»Mein Gott! Was ist denn mit Ihnen passiert?«, hauchte er atemlos.
Im Licht der grellen Lampen glänzte das noch feuchte Blut
auf dem Pullover, den Ramsey dem toten Wachmann ausgezogen und sich selber übergestreift hatte. Durch das Einschussloch war deutlich sein grünes T-Shirt sichtbar.
Tyler packte Deal und legte ihm die Hand auf den Mund.
»Nun hören Sie genau zu und machen, was ich Ihnen sage! Dann brauche ich Sie nicht zu erschießen. Keine schnellen Bewegungen und kein Rufen. Nicken Sie, wenn Sie mich verstanden haben.«
David Deal nickte eilfertig. Tyler entfernte seine Hand, bereit, sie sofort wieder auf den Mund des Pharmakologen zu legen, sollte er anfangen zu schreien.
»Was wollen Sie von mir?«
»Ich will, dass Sie mich mitnehmen. Wie kommen wir da hinein?«
Der Mann schluckte nervös. »Da … da … gibt es eine Wache in einer Loge aus Panzerglas. Sie öffnet die Tür, wenn der Fingerabdruck stimmt und man das richtige Passwort nennt.«
»Wie lautet es?«
»Ohne den Fingerabdruck nützt es Ihnen nichts.«
»Nicht ich sage es, sondern Sie. Wie lautet es?«
Eine Sekunde lang schien es, als würde Deal es nicht verraten wollen. Dann kam: »Himmel.«
So wie es klang, hatte Tyler Zweifel.
»Sind Sie sicher? Denn wenn die Wache da drinnen die Tür nicht öffnet, erschieße ich Sie und verschwinde.« Tyler bluffte, wie er fand, ziemlich überzeugend. Er hätte nie einen unbewaffneten Zivilisten erschossen.
»Er öffnet die Tür«, winselte der Mann. »Ich schwöre es.«
»Gut. Dann reißen Sie sich jetzt zusammen. Seien Sie ein braver Junge, und Ihnen passiert nichts.«
Der Pharmakologe nickte noch einmal. Langsam fasste er sich. Tyler folgte ihm durch die Tür.
Er betrat einen Vorraum, an dessen Kopfseite eine Schiebetür aus Metall den Weg versperrte. Der Wachmann saß in einer Art Pförtnerloge aus Panzerglas. Er musterte die beiden Männer kritisch, während David Deal seine Hand auf ein biometrisches Lesegerät legte.
»Und wer bist du?«, fragte der Mann Tyler, der das Lesegerät ignorierte.
»Tyler. James Tyler.« So nahe wie möglich an der Wahrheit bleiben, dann kann man eine Lüge besser kaschieren. James war sein zweiter Name.
»Dich habe ich hier noch nicht gesehen, Tyler.«
»Ich bin neu.
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