Arche
Kollege Harding hatte keine Lust, irgendwelchen Eindringlingen direkt vor die Flinte zu fahren.
Die beiden Männer näherten sich dem Zaun mit klassischer Deckung. Als sie die letzte Baumreihe erreicht hatten, prüfte Harding die Umgebung mit seinem Infrarotstrahler. Nirgendwo befand sich ein menschlicher oder tierischer Körper. Nachdem er seine Taschenlampe angeschaltet hatte, sah er sofort, was passiert war. Er stand auf und senkte die Waffe.
»Schon wieder einer!«, sagte er genervt zu seinem Kollegen Barns. »Und dieses Mal mitten auf den Zaun.«
Er funkte seinen Kollegen Jones an, der den zweiten Geländewagen fuhr.
»Streife Bravo, fahr bis an den Zaun und dreh die Scheinwerfer auf.«
Der Geländewagen kam näher und strahlte den Zaun an.
»Verdammt!«, fluchte Jones beim Aussteigen. »Volle Breitseite.«
Eine riesige Kiefer hatte einen sechs Meter breiten Abschnitt des Zaunes zu Boden gedrückt.
»Ausgerechnet heute Nacht.« Während des Unwetters vor zwei Tagen war auch ein Baum umgestürzt und hatte Alarm ausgelöst. Der Baum hatte jedoch im Wald gestanden. Dieser stellte sie vor ganz andere Probleme.
»Zentrale«, funkte er, »es ist wieder ein Baum umgefallen.«
»Wo?«
»Genau auf den Zaun. Deshalb haben sich die Sensoren gemeldet.«
»Kannst du die Sache in Ordnung bringen?«
»Unmöglich. Der Zaun ist hinüber.«
»Eine Reparatur von dieser Größenordnung können wir erst morgen in Angriff nehmen. Wache halten mit Burns. Schicke Streife Bravo zurück zum Innenhof. Sie löst euch in ein paar Stunden ab. Ich will alle fünfzehn Minuten eine Meldung.«
»Verstanden.«
Er legte den Hörer auf.
»Ihr habt’s gehört«, wandte sich Harding an seine drei Kollegen, die vor dem Geländewagen standen und den Baumriesen betrachteten. »Sieht so aus, als hätten wir heute Nacht Scheißdienst.«
Da vernahm er aus den Bäumen hinter dem Zaun einen leisen Knall. Barns’ Kopf flog nach hinten. Einen kurzen Augenblick roch Harding Blut, dann wurde auch seine Welt schwarz.
Der Fahrer der Streife Echo war der Erste, den die Scharfschützen beseitigten. Tyler sah, wie sie mit ihrer schallgedämpften PSG-1 auf die anderen Wachposten zielten. In weniger als zwei Sekunden war alles vorüber, bei weitem schneller, als die Wachen reagieren konnten.
Man hatte die Funksprüche abgehört und dadurch den richtigen Zeitpunkt abpassen können. Es hatte genauso geklappt, wie Tyler sich das vorgestellt hatte.
Er hatte einen Baum gewählt, der sich zur Geländeumfriedung neigte. Die Erde war so nass, dass die Wurzeln nur noch wenig Halt hatten. Um die dicksten von ihnen zu finden, setzte er Bodenradar ein. Neben den Wurzeln platzierte er mehrere kleine Sprengkörper, die er seinem sogenannten Zauberbeutel entnahm. Wenn sie explodierten, sollte es klingen, als stürzte ein alter Baum krachend zu Boden.
Mit Hilfe der Kiefer hatten sie sich auf einen Streich einen Weg durch den Zaun gebahnt, vier Wachen getötet, zwei Geländewagen erobert und das Problem der Bewegungsmelder gelöst.
Eilig überquerte das Kommando die fünfzehn Meter bis zum Zaun und kletterte durch die Öffnung.
Tyler sah die vier Leichen der Wachen vor dem Geländewagen liegen, dessen Scheinwerferlicht die blutigen Folgen der Schießerei in grelles Licht tauchte. Er hatte keine Gewissensbisse wegen des Überraschungsangriffs. Nicht nach all den Schrecken, die er in der vergangenen Woche hatte durchmachen müssen.
»Sie haben es gehört«, sagte er zu Captain Ramsey. »Wir haben fünfzehn Minuten, dann muss die Streife sich wieder melden.«
»Gut. Dann nichts wie los!«
48. KAPITEL
Die Lodge, wie das Hotel der Kirche der heiligen Wasser von den Diluvianern genannt wurde, war nur noch spärlich beleuchtet. David Deal hatte erwartet, der Anblick des Gebäudes würde ihn beruhigen, schließlich hatte er schon viele Male darin gewohnt, aber nun verstörte ihn die Leere.
Er durchquerte die Hotelhalle und stieg hinauf in sein ehemaliges Zimmer im dritten Stock. Es ging ihm gar nicht um irgendwelche Unterlagen, wie er seinem treuen Anführer gegenüber behauptet hatte. Was er vergessen hatte, lag ihm sehr viel mehr am Herzen. Er wollte einen Brief holen, den seine Tochter ihm vor langer Zeit geschrieben hatte. Er hatte ihn unter seiner Matratze versteckt.
Vor Jahren hatte seine Frau ihn für einen Drogenhändler verlassen, der sie zu einem Leben in Sünde verführte. David Deal war froh, als er sie los war. Damals hatte er sich vorgenommen, ihre
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