Archer Jeffrey
fest, dass sie bereits voller Gratulanten und Freunden der Familie war. Robin stand neben seiner Mutter, die auf einen Reporter des Peterborough Echo einredete. Dabei fielen die Worte: grandios, hervorragend, unvergleichliche Begabung, ja, sogar Genie.
»Oh, sehen Sie, John ist gekommen!« Johns Mutter verließ für einen Moment ihre vor Ehrfurcht erstarrte Dique, um ihren anderen Sohn zu begrüßen.
John küsste sie auf die Wange und sagte: »Robin könnte für seine künstlerische Karriere gar keinen besseren Einstand haben.«
»Da muss ich dir Recht geben.« Seine Mutter nickte. »Und es wird bestimmt nicht lange dauern, bis auch du dich in seinem Ruhm sonnen kannst. Du wirst damit angeben können, dass du Robin Summers’ älterer Bruder bist!«
Damit ließ Mrs. Summers ihren Erstgeborenen stehen, um auf einen weiteren Schnappschuss mit Robin zu kommen, was John die Gelegenheit verschaffte, in der Galerie umherzuschlendern und sich die Bilder seines Bruders anzuschauen. Sie stammten hauptsächlich aus der Mappe, die Robin während seines letzten Jahres an der Kunsthochschule zusammengestellt hatte. John machte kein Geheimnis daraus, dass er von Kunst nichts verstand. Wahrscheinlich war das auch der Grund dafür, dass er das offensichtliche Talent seines Bruders nicht würdigen konnte. Ja, er hatte manchmal sogar Gewissensbisse, weil er solche Bilder niemals bei sich zu Hause aufhängen würde. Vor einem Porträt seiner Mutter blieb er stehen. Ein roter Punkt neben dem Kunstwerk verriet, dass es bereits verkauft war. John lächelte, weil er sich gut vorstellen konnte, bei wem es sich um den Käufer handelte.
»Sieh doch nur, wie wunderbar dieses Werk das Wesen ihrer Seele wiedergibt«, erklang eine Stimme hinter ihm.
»O ja, ist nicht zu übersehen«, meinte John und drehte sich zu seinem Bruder um. »Gut gemacht. Ich bin wirklich stolz auf dich.«
»Am meisten bewundere ich an dir, John, dass du nie auf mein Talent neidisch warst.«
»Warum sollte ich?«, entgegnete John. »Ich freue mich darüber.«
»Dann wollen wir hoffen, dass ein wenig von meinem Talent auf dich abfärbt, welchen Beruf du auch ergreifen magst.«
»Ja, hoffen wir’s«, murmelte John, weil er nicht wusste, was er sonst antworten sollte.
Robin beugte sich näher an John heran und senkte die Stimme: »Du kannst mir nicht zufällig ein Pfund leihen? Ich gebe es dir selbstverständlich zurück.«
»Selbstverständlich.«
John lächelte. Manche Dinge änderten sich nie. Vor Jahren hatte es mit einem Sixpence auf dem Spielplatz begonnen und war mit einer Zehnshillingnote bei der Abschlussfeier geendet. Und jetzt wollte sein Bruder ein Pfund von ihm und würde nie auch nur einen Penny zurückgeben. Nicht, dass John seinem jüngeren Bruder das Geld nicht gönnte. Schließlich würden ihre Rollen bald vertauscht sein. John zog seine Geldscheintasche hervor, in der sich zwei Pfundnoten und seine Rückfahrkarte nach Manchester befanden. Er zog einen der Scheine heraus und reichte ihn Robin.
Dann wollte John ihn etwas über ein Bild fragen – ein Ölgemälde mit dem Titel Barabbas in der Hölle –, doch sein Bruder war bereits verschwunden und stand schon wieder bei seiner Mutter und seinen Bewunderern.
Als John die Universität in Manchester verließ, bot ihm die Firma Reynolds & Company sofort eine Assistentenstelle an. Robin war inzwischen in eine Wohnung in Chelsea gezogen. Ein zwar sehr kleines Apartment, wie seine Mutter zu Miriam sagte, dafür in einer vornehmen Gegend. Allerdings verschwieg sie, dass Robin die drei mickrigen Räume mit fünf anderen Studenten teilte.
»Und John?«, erkundigte sich Miriam.
»Er arbeitet bei einer Firma in Birmingham, die Räder herstellt – oder so was Ähnliches, glaube ich«, antwortete Johns Mutter.
John hatte eine billige Bude am Stadtrand von Solihull gefunden, in einer keineswegs vornehmen Gegend. Aber sie lag ganz in der Nähe der Fabrik, in der er als Assistent in der kaufmännischen Abteilung arbeitete, wo er von Montag bis Samstag pünktlich um acht Uhr anfing.
Er langweilte seine Mutter nicht mit den Einzelheiten der Produktpalette von Reynolds & Company, denn die Herstellung von Reifen für die Autofabrik Longbridge, die sich ganz in der Nähe befand, war bei weitem nicht so romantisch wie die Vorstellung eines genialen Avantgardemalers, der im Künstlerviertel Chelsea lebte.
Während Robin die Kunsthochschule besuchte, sah John ihn nur noch selten, doch er reiste stets nach London, um sich
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