Archer Jeffrey
zu kontaktieren, um offiziell Protest zu erheben. „Was soll uns ein offizieller Protest schon nützen“, sagte Eduardo und ließ sich in einen Sessel fallen. „Bei wem wollt ihr den Protest denn anmelden, beim neuen Regime oder beim alten?“
Er verbrachte den Rest des Tages allein in seinem Zimmer, nur hin und wieder durch Geräusche aufgeschreckt, die er für fernes Gewehrfeuer hielt, und las den Vorschlag für das Hauptstadt-Projekt und die Berichte seiner Berater zum drittenmal.
Am nächsten Morgen wurde Eduardo, der denselben Anzug trug wie am Tag seiner Ankunft, von seinem Sekretär mit der Nachricht begrüßt, daß der Staatsstreich niedergeschlagen worden sei; nach heftigen Straßenkämpfen, so informierte er seinen ungewöhnlich aufmerksam zuhörenden Chef, sei das alte Regime wieder an die Macht gelangt, allerdings nicht ohne Verluste; unter den bei dem Aufstand Gefallenen solle sich auch General Mohammed, das Staatsoberhaupt, befinden. Der Bericht des Sekretärs wurde von Radio Nigeria offiziell bestätigt. Rädelsführer bei dem fehlgeschlagenen Coup sei ein gewisser Oberstleutnant Dimka gewesen: Dimka sei gemeinsam mit ein oder zwei jüngeren Offizieren geflohen, und die Regierung habe eine nächtliche Ausgangssperre verhängt, bis die verbrecherischen Übeltäter gefaßt seien.
Wer einen Staatsstreich erfolgreich über die Bühne bringt, ist ein Nationalheld, wer dabei scheitert, ein verbrecherischer Übeltäter; im Geschäftsleben ist es nicht anders mit Bankrott oder Erwerb eines Vermögens, sinnierte Eduardo, während er die Nachrichten hörte. Er begann Pläne für eine rasche Abreise aus Nigeria zu schmieden, als der Radiosprecher etwas verlautbarte, das ihn ins Mark traf:
„Solange Oberstleutnant Dimka und seine Helfershelfer auf freiem Fuß sind, bleiben sämtliche Flughäfen des Landes bis auf weiteres gesperrt.“
Nachdem der Sprecher seinen Bericht beendet hatte, wurde zum Gedenken an den gefallenen General Mohammed Militärmusik gesendet.
Eduardo lief außer sich vor Wut hinunter. Das Hotel war immer noch von bewaffneten Truppen umstellt. Er starrte auf die Flotte von sechs leeren Mercedes-Autos, die nur zehn Meter von den Gewehren der Soldaten entfernt geparkt waren. Dann ging er wieder in das Foyer, irritiert von dem vielsprachigen Geplapper, das aus allen Richtungen auf ihn eindrang. Eduardo sah sich um: offensichtlich waren über Nacht viele Leute hier im Hotel gestrandet und hatten schließlich in der Halle oder in der Bar übernachten müssen. Er wollte sich am Zeitungsstand in der Lobby etwas zu lesen besorgen, doch es waren nur noch vier Exemplare eines Führers durch Lagos erhältlich, alles andere war bereits verkauft. Bücher von Autoren, die jahrelang nicht gelesen worden waren, wurden nun zu Wucherpreisen von Hand zu Hand weitergereicht. Eduardo ging wieder auf sein Zimmer, das immer mehr den Charakter eines Gefängnisses annahm, und brachte es nicht über sich, das Hauptstadt-Projekt ein viertesmal zu lesen. Er versuchte noch einmal den brasilianischen Botschafter zu erreichen, um zu erfahren, ob er eine Sondererlaubnis zum Verlassen des Landes bekommen könnte, da er doch ein eigenes Flugzeug besaß. In der Botschaft hob niemand ab. Er begab sich also zu einem frühen Mittagessen in den Speisesaal, der wiederum gesteckt voll war. Diesmal wurde er an einen Tisch gesetzt mit einigen Deutschen, die sich Sorgen wegen eines Vertrages machten, der in der Vorwoche, vor dem gescheiterten Putsch, von der Regierung unterzeichnet worden war. Sie fragten sich nun, ob er eingehalten werden würde. Manuel Rodrigues betrat den Saal wenige Minuten später und wurde an den Nachbartisch gesetzt. Am Nachmittag überprüfte de Silveira wehmütig seinen Terminplan für die nächsten sieben Tage. Er hätte sich am Morgen in Paris mit dem Innenminister treffen, von da nach London fliegen und mit den Aufsichtsratsvorsitzenden der Stahlindustrie konferieren sollen. Sein Kalender war für die nächsten zweiundneunzig Tage, bis zum Familienurlaub im Mai, voll ausgebucht. „Ich verbringe meinen diesjährigen Urlaub in Nigeria“, bemerkte er sarkastisch zu einem Mitarbeiter.
Was Eduardo an dem Coup am meisten nervte, war, daß die Verbindung mit der Außenwelt völlig unterbrochen war. Er hätte gerne gewußt, was in Brasilien los war, und fand es äußerst unangenehm, nicht nach Paris telefonieren oder telexieren zu können, um sich für seine Abwesenheit persönlich zu entschuldigen. Wie
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