Archer Jeffrey
Aussicht auf eine Tracht Prügel. Nur zu gut erinnerte er sich noch an die letzte, nach der er zwei Tage lang vor Schmerzen kaum hatte sitzen können. Die schmalen roten Striemen waren noch drei Wochen danach zu sehen gewesen.
Er saß am Fenstersims in einer schattigen Ecke seines Zimmers und dachte darüber nach, wodurch er seine Mutter wohl versöhnen könnte, nun da sie ihn aus der Küche hinausgeworfen hatte. Dort hatte er sich Öl über die Tunika gegossen, worauf sie ihm befohlen hatte, nach draußen spielen zu gehen. Das machte ihm jedoch keinen Spaß, da er immer allein spielen mußte. Sein Vater hatte ihm verboten, sich mit den einheimischen Jungen abzugeben. Oh, wie er dieses Land haßte; wenn er doch endlich wieder zu Hause bei seinen Freunden wäre! Was sie dort alles gemeinsam unternehmen könnten! Aber, drei Wochen noch, und er würde… Die Türe öffnete sich, und seine Mutter betrat den Raum. Sie trug die landesübliche, leichte schwarze Kleidung, die einen, wie sie seinem Vater erklärt hatte, am besten vor der Hitze schützte. Er hatte darauf nur unwillig gemurrt, und so wechselte sie abends, bevor er heimkam, das schwarze Gewand immer gegen römische Kleidung.
„Hier bist du also“, sagte sie, an ihren zusammengekauerten
Sohn gewandt.
„Ja, Mutter.“
„In den Tag hinein träumend, wie üblich. Nun wach aber auf,
du mußt mir ein paar Lebensmittel aus dem Dorf holen.“ „Ja, gerne Mutter, sofort“, sagte der Junge und kletterte eilig
vom Fenstersims herab.
„So warte doch, ich habe dir ja noch nicht einmal gesagt, was
ich brauche!“
„Natürlich, Mutter, verzeih.“
„Also hör zu und paß genau auf.“ An den Fingern ihrer Hand
begann sie aufzuzählen: „Ich brauche ein Huhn, ein paar
Weintrauben, Feigen, Datteln und… ach ja, zwei Granatäpfel.“ Bei der Erwähnung der Granatäpfel errötete der Junge und
blickte auf den Steinboden, in der Hoffnung, sie hätte es schon
wieder vergessen. Seine Mutter griff in den Lederbeutel, der an
ihrem Gürtel hing, und entnahm ihm zwei kleine Münzen,
doch bevor sie sie ihrem Sohn in die Hand drückte, ließ sie ihn
die Einkaufsliste wiederholen.
„Ein Huhn, Trauben, Feigen, Datteln und zwei Granatäpfel!“
skandierte er, als rezitierte er den modernen Dichter Vergil. „Und vergiß nicht, das Wechselgeld nachzuzählen“, fügte sie
hinzu. „Du weißt ja, daß diese Einheimischen allesamt Diebe
sind.“
„Ja, Mutter…“ Der Junge zögerte noch einen Augenblick. „Wenn du nichts vergißt und mir das Geld ordentlich
abrechnest, werde ich deinem Vater von dem zerbrochenen
Krug und den Granatäpfeln vielleicht gar nichts erzählen.“ Der Junge lächelte, steckte die zwei kleinen Silbermünzen in
die Falten seiner Tunika und lief aus dem Haus.
Der Centurio, der am Eingang des Lagers Wache stand,
schob den großen Holzriegel zurück, mit dem das schwere Tor
verschlossen war. Der Junge schlüpfte durch das halboffene
Tor und nickte dem Centurio lächelnd zu.
„Wieder einmal in Schwierigkeiten geraten?“ rief dieser ihm
nach.
„Nein, diesmal nicht“, antwortete der Junge. „Für heute,
glaub ich, bin ich davongekommen.“
Er winkte dem Centurio nochmals zum Abschied und lief
munter auf das Dorf zu, eine Melodie summend, die ihn an die
Heimat erinnerte. Er hielt sich in der Mitte des staubigen,
gewundenen Pfades, den die Landesbewohner allen Ernstes als
Straße zu bezeichnen wagten. Er käme doppelt so schnell
voran, dachte er, müßte er nicht ständig Steinchen aus seinen
Sandalen herausfischen. Wäre sein Vater hier längere Zeit auf
Posten geblieben, so hätte sich da bestimmt einiges geändert;
dann gäbe es hier bald eine richtige Straße, so breit und gerade,
daß man mit Fuhrwerken darauf fahren könnte. Erst aber hätte
seine Mutter das Dienstmädchenproblem lösen müssen. Nicht
eines dieser Mädchen konnte einen Tisch decken oder auch nur
eine einigermaßen genießbare Mahlzeit zubereiten. Zum
erstenmal in seinem Leben hatte er seine Mutter in der Küche
stehen sehen, und er war sicher, daß es auch das letzte Mal sein
würde, denn die Dienstzeit seines Vaters ging zu Ende, und sie
würden nun alle wieder in die Heimat zurückkehren. Er wanderte im Schein der Abendsonne, die als riesiger roter
Ball am Himmel stand, so rot wie die Tunika seines Vaters. Sie strahlte eine solche Hitze aus, daß er ins Schwitzen kam und sich nach etwas Trinkbarem sehnte. Ob ihm genug Geld übrigbliebe, damit er für sich selbst auch einen
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