Archer Jeffrey
übel. Der
Mann bemühte sich, einen Platz in der Mitte des Stalls
wenigstens vom ärgsten Schmutz zu säubern, um einen
einigermaßen reinlichen Lagerplatz zu schaffen – ein nahezu
hoffnungsloses Unterfangen, wie dem Jungen schien.
Nachdem der Mann sein Bestes getan hatte, hob er die dicke Frau vom Rücken des Esels und bettete sie auf das Stroh. Dann ging er an das andere Ende des Stalls zu einem Wassertrog, aus dem gerade ein Ochse trank, schöpfte daraus mit beiden
Händen etwas Wasser und kehrte zu der dicken Frau zurück. Der Junge begann sich zu langweilen und wollte sich schon
entfernen, als die Frau sich aufrichtete, um aus den Händen des
Mannes zu trinken. Dabei glitt ihr der Schleier herab, und zum
erstenmal sah der Junge ihr Gesicht.
Er stand da wie angewurzelt und starrte sie an. Noch nie hatte
er etwas so Schönes gesehen. Im Unterschied zur Mehrzahl
ihrer Stammesangehörigen hatte diese Frau eine Haut von
durchsichtiger Zartheit, und ihre Augen leuchteten; am tiefsten
aber beeindruckte ihn ihre Haltung und ihre Ausstrahlung. Er
hatte noch nie eine solche Ehrfurcht verspürt, nicht einmal bei
seinem einzigen Besuch im Senat, wo er Caesar Augustus
persönlich reden gehört hatte.
Einen Augenblick stand er wie versteinert da, dann aber
wußte er, was er zu tun hatte. Er ging durch das offene Tor auf
die Frau zu, fiel vor ihr auf die Knie und legte ihr das Huhn als
Geschenk zu Füßen. Sie lächelte, er legte die Granatäpfel dazu,
und sie lächelte wieder. Darauf breitete er auch noch die
restlichen Lebensmittel vor ihr aus, doch sie blieb stumm. Der
bärtige Mann kam wieder, die Hände voll Wasser, vom Trog
zurück. Als er den jungen Fremden erblickte, fiel er auf die
Knie, wobei er das Wasser verschüttete, und schlug die Hände
vors Gesicht. Der Junge verblieb noch eine Weile in seiner
knienden Stellung, dann erhob er sich und ging langsam auf
das Stalltor zu. Bevor er es erreichte, wendete er sich nochmals
um und sah der schönen Frau ein letztes Mal in die Augen. Sie
sagte immer noch kein Wort.
Der junge Römer zögerte nur eine Sekunde lang, dann beugte
er sein Haupt.
Es war bereits dämmrig, als er den gewundenen Pfad
erreichte, auf dem er heimwärts lief, doch er fürchtete sich
nicht. Er war vielmehr von dem Gefühl durchdrungen, etwas
Gutes getan zu haben und deshalb vor allem Bösen gefeit zu
sein. Er schaute zum Himmel auf und sah direkt über sich den
ersten Stern, der bereits so hell im Osten leuchtete, daß er sich
wunderte, wieso er nicht mehr Sterne sah. Sein Vater hatte ihm
gesagt, daß in den verschiedenen Ländern auch verschiedene
Sterne zu sehen seien, und so zerbrach er sich über dieses
Rätsel nicht weiter den Kopf. Dafür überkam ihn nun die
Angst, er könnte nicht rechtzeitig vor Einbruch der Nacht zu
Hause sein. Die Straße vor ihm war menschenleer, so daß er
rasch vorankam, doch kurz bevor er den sicheren Hafen
erreichte, hörte er plötzlich ein Singen und Schreien. Um sich
zu vergewissern, woher die Gefahr kam, drehte er sich rasch
um und richtete seinen Blick auf die Hügel oberhalb des
Weges. Zunächst konnte er sich den Anblick, der sich ihm bot,
überhaupt nicht erklären. In ungläubigem Staunen faßte er
dann eine Wiese näher ins Auge, auf der die Hirten singend,
tanzend und händeklatschend umhersprangen. Alle Schafe
waren, soweit er sah, in Sicherheit und lagerten dicht gedrängt
in einer Ecke des Pferches. Es bestand also kein Grund zur
Aufregung. Marcus hatte ihm einmal erzählt, daß die Hirten in
diesem Land zur Nachtzeit manchmal fürchterlichen Lärm
veranstalteten, weil sie glaubten, die bösen Geister dadurch zu
vertreiben. Wie konnte man bloß so dumm sein, dachte der
Junge, als mit einemmal ein Lichtblitz über den Himmel
zuckte und die Wiese plötzlich in helles Licht tauchte. Die
Hirten fielen auf die Knie und blickten mehrere Miauten lang
schweigend zum Himmel, so als horchten sie angespannt auf
irgend etwas. Dann breitete sich wieder Dunkelheit aus. So schnell ihn seine Beine trugen, lief der Junge nun zum
Lager; er sehnte sich nach dem Sicherheit verheißenden Geräusch des hinter ihm ins Schloß fallenden Lagertores, und nach dem Centurio, der es mit dem großen Holzriegel fest verschließen würde. Er wäre ohne Unterbrechung bis nach Hause gelaufen, hätte er vor sich auf dem Weg nicht etwas bemerkt, das ihn plötzlich haltmachen ließ. „Laß dir angesichts einer Gefahr niemals Angst anmerken“, hatte sein Vater ihn gelehrt. Er hielt den
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