Archer Jeffrey
braucht, und schon findet der Maire
d’Hotel des nobelsten und bis auf den letzten Platz
ausgebuchten Restaurants einen freien Tisch; einer jener
Namen, bei dessen Nennung für eine seit Monaten
ausverkaufte Opernaufführung sofort die besten Karten
bereitlagen. Genaugenommen war es der Name ihres Gatten,
der dergleichen Wunder bewirkte; denn ihr Gatte war einer der
erfolgreichsten Filmproduzenten der Welt. „Bei meinem
nächsten London-Aufenthalt führe ich Sie zum Lunch aus“,
krachte es durch das atlantische Telefonkabel.
„Nein“, antwortete ich galant, „ich werde Sie zum Lunch
ausführen.“
„Ihr Engländer seid immer so charmant“, erwiderte sie. Ich
habe mich schon des öfteren gefragt, was eine Amerikanerin
wohl im Schilde führen mag, wenn sie einem Engländer dieses
Kompliment macht. Wie auch immer – von der Gattin eines
„Oscar“-preisgekrönten Filmproduzenten angerufen zu
werden, das passiert einem nicht alle Tage.
„Ich werde mich sofort bei Ihnen melden, wenn ich das
nächstemal in London bin“, versprach sie zum Abschied. Sie hielt Wort. Sechs Monate später rief sie mich wieder an,
diesmal aus dem Connaught Hotel in London, um mir zu
sagen, wie sehr sie sich auf unsere Zusammenkunft freue. „Wo möchten Sie gerne essen?“ fragte ich. Leider fiel mir zu
spät ein, daß ich einen Vorschlag hätte machen sollen, denn sie
nannte natürlich eines der teuersten Restaurants von London.
Zum Glück konnte sie meinen Gesichtsausdruck nicht sehen,
als sie noch forsch hinzufügte: „Montag um ein Uhr.
Überlassen Sie die Tischbestellung mir, man kennt mich dort.“ An dem besagten Tag warf ich mich in meinen einzigen
ordentlichen Anzug, dazu wählte ich ein Hemd, das ich seit
Weihnachten für besondere Gelegenheiten aufgehoben hatte,
und die einzige Krawatte, die nicht den Eindruck erweckte,
auch schon als Hosenträger gedient zu haben. Dann
schlenderte ich zu meiner Bank, um meinen Kontostand
festzustellen. Der Schalterbeamte händigte mir ein Papier aus,
das mir für diese lächerliche Summe unnötig lang erschien. Ich
studierte es mit übertriebener Sorgfalt und vergewisserte mich,
daß mein Kontostand genau siebenunddreißig Pfund und 63
betrug. Ich hob siebenunddreißig Pfund ab, den Rest ließ ich
als Notgroschen auf dem Konto stehen. Anschließend begab
ich mich zu meinem Rendezvous nach Mayfair. Für meinen
Geschmack wies das Restaurant eindeutig zuviel Plüsch und
zuviel Personal auf. Beides ist garantiert ungenießbar, wird
einem aber garantiert verrechnet. An einem Ecktisch für zwei
Personen saß eine nicht mehr ganz junge, aber sehr elegante
Dame. Sie trug eine blaßblaue Bluse aus Crepe de Chine, und
ihr blondes Haar war zu einer schlichten Rolle aufgesteckt, die
mich an die Kriegsjahre erinnerte – aber offensichtlich war das
jetzt wieder modern. Die Dame war zweifellos meine
Bewunderin aus Übersee – und sie empfing mich mit dieser
Wir-kennen-uns-doch-schon-seit-Ewigkeiten Attitüde, mit der
sie mich auch Jahre später auf dem Empfang des SchriftstellerVerbandes wieder begrüßen sollte. Obwohl sie schon an einem
Aperitif nippte, bestellte ich für mich keinen, mit der
Begründung, daß ich vor dem Essen nie Alkohol zu mir nähme. (Ich hätte gerne hinzugefügt, daß sich das in dem Augenblick ändern könnte, da ihr Mann eines meiner Bücher verfilmen würde.) Sie bot mir ungefragt den allerneuesten Hollywood-Klatsch, während ich das Grünzeug, das vor mir stand, verspeiste. Ein Kellner, der auf leisen Sohlen herangeschlichen war, überreichte jedem von uns eine in Leder gebundene, goldgeprägte Speisekarte; sie war übrigens weitaus
sorgfältiger gebunden als mein Roman.
Das Lokal stank förmlich nach sinnlos vergeudetem Geld. Ich
schlug die Speisekarte auf und starrte entsetzt auf das erste
Kapitel: wie war es möglich, daß Nahrungsmittel, am Morgen
in Covent Garden eingekauft, auf dem kurzen Weg nach
Mayfair derartig exorbitante Preise erklimmen konnten? In
meinem Bistro, nur wenige Meter von hier entfernt, kosteten
die gleichen Speisen knapp ein Viertel. Wozu noch kam, daß
in Etablissements wie diesem die Dame natürlich eine
Speisekarte ohne Preise erhielt!
Während ich die lange Liste französischer Delikatessen
studierte, fiel mir plötzlich auf, daß ich seit Monaten keine
richtige Mahlzeit mehr zu mir genommen hatte, was leider
auch heute der Fall sein würde, und daß dieser Zustand sich
wahrscheinlich so lange nicht ändern würde, bis vielleicht
jemand die
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