Archer Jeffrey
zehn
Prozent von einem Ihrer größten Verträge?“
„Einmal“, fuhr der Minister fort, als hätte er Sir Hamish’s
Einwand nicht gehört, „als Victors Vater bei Zacatecas an der
vordersten Front kämpfte, sah er auf einem Minenfeld einen
jungen Leutnant liegen, das Gesicht im Schlamm, und ein Bein
nur noch an einem Fetzen Fleisch hängend. Ohne an seine
eigene Sicherheit zu denken, robbte er durch das Minenfeld zu
dem Leutnant hin und schleppte ihn, Meter um Meter, zurück
in die Stellung. Er brauchte dazu mehr als drei Stunden. Dann
trug er den Leutnant auf seinen Armen zu einem Laster, fuhr
ihn zum nächsten Feldlazarett, und rettete ihm so zumindest
das Bein, wahrscheinlich aber das Leben. Jetzt werden Sie
vielleicht auch verstehen, daß die Regierung alle Ursache hat,
Perez’ Sohn das Vorrecht zuzugestehen, ab und zu als ihr
Vertreter zu agieren.“
„Ich stimme Ihnen zu, Herr Minister“, sagte Sir Hamish leise.
„Das ist bewundernswert.“ Der Minister lächelte jetzt zum
erstenmal. „Aber dennoch muß ich sagen, daß ich immer noch
nicht verstehe, weshalb Sie ihm einen so hohen Prozentanteil
einräumen.“
Der Minister runzelte die Stirn. „Wenn Sie das nicht
verstehen, Sir Hamish, dann, fürchte ich, werden Sie wohl
auch nie verstehen können, was die Prinzipien sind, die für uns
Mexikaner das Leben bestimmen.“
Der Minister erhob sich von seinem Schreibtisch, humpelte
zur Tür und ließ Sir Hamish hinaus.
Der Professor aus Budapest
In der Literatur habe man alles Zufällige – so wird uns Schriftstellern (besonders von der Kritik) empfohlen – unbedingt zu vermeiden. Und dabei besteht doch das tägliche Leben aus einer Unzahl von ganz unglaublichen Zufällen. Jeder könnte von Dingen erzählen, die er, hätte er sie nicht selbst erlebt, für reine Erfindung halten würde.
In derselben Woche, in der die Schlagzeilen der internationalen Presse „Einmarsch der Russen in Afghanistan“ und „Die USA boykottieren die Olympischen Spiele in Moskau“ lauteten, erschien in der Times ein kurzer Nachruf auf einen Professor der Universität Budapest, einen Mann „der während seines ganzen Lebens seine Heimatstadt Budapest nie verlassen hat, der aber durch seine hervorragenden Übersetzungen der Werke Shakespeares ins Ungarische unvergessen bleiben wird. Einige Fachleute werfen seinem Coriolan zwar eine gewisse Unausgereiftheit vor, alle sind sich aber darin einig, daß seine Übersetzung des Hamlet ein Meisterwerk ist.“
Fast ein Jahrzehnt nach der Revolution von 1956 hatte ich Gelegenheit, an einem internationalen Jugend-LeichtathletikTreffen in Budapest teilzunehmen. Die Veranstaltung sollte eine Woche dauern, was mir – so hoffte ich – genügend Zeit lassen würde, mich ein wenig im Lande umzusehen. An einem Sonntagabend landete unsere Mannschaft auf dem Flughafen Ferihegy, von wo wir sogleich ins Hotel Ifusag gebracht wurden. (Wie ich später erfuhr, bedeutet Ifusag im Ungarischen Jugend.) Die meisten von uns gingen früh zu Bett, da die ersten Bewerbe schon für den nächsten Vormittag angesetzt waren.
Das Frühstück bestand aus Milch, Toast und einem Ei, und es wurde in drei Akten mit langen Zwischenpausen serviert. Diejenigen von uns, deren Bewerbe am Nachmittag stattfanden, verzichteten unter diesen Umständen auf das Mittagessen, um nur ja ihren Start nicht zu versäumen.
Zwei Stunden vor Beginn der Veranstaltung wurden wir in Autobusse verladen und im Nép-Stadion direkt vor unseren Kabinen abgesetzt. Wir warfen uns in unsere Trainingsanzüge, hockten uns auf die Holzbänke und warteten. Nach einer Wartezeit, die uns wie eine Ewigkeit vorkam – tatsächlich waren nur wenige Minuten vergangen – , kam ein Funktionär und führte uns auf die Laufbahn hinaus.
Das Stadion war gesteckt voll. Nachdem ich die üblichen Lockerungsübungen absolviert hatte, entledigte ich mich meines Trainingsanzugs – der Lautsprecher kündigte soeben in drei Sprachen den Hundertmeterlauf an. Als mein Name aufgerufen wurde, lief ich zum Start, drückte meine Fersen gegen die Blöcke und wartete mit angespannten Nerven auf den Startschuß. Fekézülni, Kész – Schuß. Nach zehn Sekunden war das Rennen gelaufen. Ich wurde letzter. Das hatte aber den Vorteil, daß ich sechs freie Tage vor mir hatte, in denen ich die ungarische Hauptstadt erforschen konnte.
Die Straßen von Budapest erinnerten mich an das Nachkriegs-Bristol meiner Kindheit, nur daß hier außer den Bombenschäden an vielen Gebäuden
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