Archer Jeffrey
Zeitlupentempo. Wenn nur das Telefon nicht geklingelt hätte, wenn nur das Gartentor geschlossen gewesen wäre, wenn er sich früher umgedreht hätte, wenn er ein bißchen schneller gelaufen wäre. »Kein Goal, Dad, kein Goal.«
21
Als Raymond in Washington ankam, war die Stadt festlich geschmückt: Die Straßen erstrahlten in Rot, Weiß, Blau: Amerika feierte seinen zweihundertsten Geburtstag. Raymond Gould gehörte zu den drei Ministern, die das Vereinigte Königreich vertraten, um dem amerikanischen Kongreß ein Exemplar der Magna Charta zu überreichen. Er machte seinen ersten Besuch in den Vereinigten Staaten, mit der Concorde, die kurz vorher ihren Jungfernflug absolviert hatte. Tom Carson hatte sich zwar vor dem Unterhaus über die hohen Reisekosten beklagt, aber sein Protest war auf taube Ohren gestoßen.
Als die Concorde auf dem Dulles Airport landete, fuhren drei Limousinen vor. Die Minister stiegen ein. Flankiert von einer Motorradeskorte erreichten sie knapp eine halbe Stunde später die britische Botschaft.
Raymond verliebte sich Hals über Kopf in Amerika, vielleicht, weil es ihn mit seinem überschäumenden Enthusiasmus und dem fortwährenden Willen zur Erneuerung so sehr an Kate erinnerte. Während seines zehntägigen Aufenthaltes gelang es ihm, einige wertvolle Kontakte zu Senat und Repräsentantenhaus herzustellen, und am Wochenende verwandelte er sich in einen ganz normalen Touristen, der die Schönheit von Virginia genoß. Er konzentrierte sich darauf, jene seiner Altersgenossen kennenzulernen, die voraussichtlich in den nächsten zwanzig Jahren die politische Bühne Amerikas beherrschen würden, während seine zwei älteren Kollegen zumeist mit Präsident Ford und dessen engsten Vertrauten gesehen wurden.
Jeden Tag mit der Washington Post und der New York Times zu beginnen, war für Raymond ein Genuß. Wenn er beide Zeitungen gelesen hatte, mußte er sich die Druckerschwärze von den Händen waschen. Eine Seite der Washington Post, mit den Profilen der drei Minister aus London, bewahrte er auf. Er wollte Kate den Absatz zeigen, in dem es hieß: »Die beiden Staatssekretäre sind interessante Männer am Ende ihrer Karriere, aber Raymond Gould muß man im Auge behalten; er sieht aus wie ein künftiger Premier.«
Als Raymond nach London zurückflog, nahm er wie jeder Liebende an, daß er seine Affäre mit Amerika fortsetzen können würde, wann immer er dazu Lust hatte.
Simon befand sich als Gast der Business School in Manchester, als ihn Elizabeths Nachricht erreichte. Daß sie mitten am Tag anrief, war ungewöhnlich, und Simon befürchtete das Schlimmste: Den Kindern mußte etwas zugestoßen sein. Der Direktor der Business School führte ihn in sein Privatbüro und ließ ihn allein.
Dr. Kerslake sei nicht im Krankenhaus, hieß es. Simon wurde noch unruhiger. Er rief zu Hause an. Elizabeth antwortete so rasch, daß sie, seinen Rückruf erwartend, neben dem Telefon gesessen sein mußte.
»Ich bin entlassen worden«, sagte sie.
»Was?« Simon konnte es nicht glauben.
»Ich bin überflüssig – sagt man das nicht so, um den Schock
zu mildern? Das Gesundheitsministerium hat die Krankenhausverwaltung angewiesen einzusparen, wo es nur geht. Drei von uns in der Gynäkologie haben ihre Stellung verloren. Ende des Monats gehe ich.«
»Darling, es tut mir so leid.« Er wußte, wie unzulänglich seine
Worte klangen.
»Ich wollte dich nicht belästigen, ich wollte nur mit jemandem
reden. Jeder andere darf sich bei seinem Abgeordneten
beschweren. Ich beschwere mich bei dir.«
»Üblicherweise würde ich unter diesen Umständen der
Labour-Partei die Schuld geben.« Simon war erleichtert,
Elizabeth lachen zu hören.
»Danke, daß du so rasch angerufen hast, Lieber. Auf morgen.«
Sie legte auf.
Simon kehrte zu seiner Gruppe zurück und erklärte, daß er
sofort nach London zurückmüsse. Er fuhr mit dem Taxi zum
Flughafen. Drei Stunden später war er zu Hause in der Beaufort
Street.
»Ich wollte nicht, daß du nach Hause kommst«, sagte
Elizabeth reuig, als sie ihn auf der Schwelle stehen sah. »Ich kam, um zu feiern«, sagte Simon, »öffnen wir den
Champagner, den uns Ronnie geschickt hat, als er mit Morgan
Grenfell abschloß.«
»Warum?«
»Weil mir Ronnie eines beigebracht hat: man soll
Katastrophen feiern, nicht Erfolge.«
Simon hängte seinen Mantel auf und holte den Champagner.
Als er mit der Flasche und zwei Gläsern zurückkam, fragte
Elizabeth: »Wie steht es mit deiner
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