Archer Jeffrey
Leeds North 1964 geboren worden war, im Jahr seines Parlamentseintritts. Als sie einander kennenlernten, sprach ihn sein junger Rivale mit »Sir« an – fast eine Beleidigung, fand Raymond.
»Bitte nennen Sie mich beim Vornamen«, sagte er.
»Raymond -« begann der junge Mann.
»Nein. Ray genügt.«
Auch Charles und Simon sahen wenig von ihrem Wahlkreis, auch sie kämpften um gefährdete Sitze, und als der Wahltag näherrückte, wurde ihr Programm immer hektischer. Meinungsumfragen ergaben, daß die Allianz mehr und mehr konservative Stimmen bekam, während die traditionellen Labour-Wähler wieder zu ihrer alten Partei zurückkehrten. Die Torys starteten daher mitten im Wahlkampf eine massive Kampagne gegen die Allianz.
Andrew mußte während des ganzen Wahlkampfes in Edinburgh bleiben und sich wieder einmal mit Frank Boyle auseinandersetzen. Doch diesmal hatte Boyle, wie Stuart Gray im Scotsman schrieb, viel von seiner Angriffslust verloren. Während der letzten drei Wochen bekam Andrew noch etwas davon zu spüren, aber wenigstens mußte die Royal Bank of Scotland sich nicht ein zweitesmal von einer Goldmünze trennen. Andrew behielt seinen Sitz mit einer Mehrheit von mehr als zweitausend Stimmen und kehrte zum achtenmal ins Parlament zurück. Louise behauptete, diese Mehrheit habe ihr Mann jenen Leuten zu verdanken, die sich in ihre dreizehnjährige Tochter Clarissa verliebt hatten. Sie erfüllte schon die Prophezeiung ihres Vaters: linkische Fünfzehnjährige erröteten in ihrer Gegenwart.
Da die Stimmenauszählung da und dort im Land wiederholt werden mußte, wurde das endgültige Resultat erst Freitag nachmittag bekanntgegeben.
»Das Parlament besitzt keine klare Mehrheit«, sagte der Kommentator der BBC und wiederholte die Ergebnisse:
Konservative 317
Labour 288
Allianz Liberale/SDP 34
Irish/Ulster Unionist 17
Andere und Speaker 4
Er erklärte, daß Mrs. Thatcher, die immer noch Führerin der
größten Partei im Unterhaus war, nicht zurücktreten müsse, daß die SDP jedoch bei den nächsten Wahlen das Zünglein an der Waage sein werde.
Die Premierministerin änderte ihr Kabinett nur wenig, da sie trotz ihrer geringen Mehrheit offenbar den Eindruck der Einigkeit erwecken wollte. Die Presse sprach von einem »kosmetischen Kabinett«. Charles übernahm das Innenministerium, Simon wurde Außenminister.
Jeder in Westminster war dankbar, als das Parlament ein paar Wochen später Sommerferien machte und die Politiker nach Hause zurückkehren konnten.
Die Ruhe dauerte allerdings nur eine Woche. Dann beschwor Tony Benn mit der Ankündigung, er werde sich beim Parteitag im Oktober um die Parteiführung bewerben, eine Gewitterwolke in dem blauen Sommerhimmel herauf. Er behauptete, Kinnocks Naivität und Ungeschicklichkeit seien die Ursache dafür gewesen, daß die Labour-Partei nicht an die Macht gekommen war. Viele Sozialisten stimmten ihm zu, meinten jedoch, unter Benn wäre es ihnen noch wesentlich schlechter ergangen.
Seine Erklärung ermöglichte es allen anderen Kandidaten, sich um die Parteiführung zu bewerben: Roy Hattersley und John Smith ließen sich gemeinsam mit Benn und Kinnock für den ersten Wahlgang aufstellen. Viele Parlamentsmitglieder, Gewerkschafter und Leiter der Wahlkreise drängten Raymond, sich ebenfalls in den Kampf zu stürzen.
»Wenn du jetzt nicht kandidierst«, sagte Joyce, »wirst du in
Zukunft keine Gelegenheit mehr haben.«
»Ich denke an die Zukunft«, erwiderte Raymond.
»Was meinst du damit?«
»Ich will stellvertretender Parteiführer werden. Das würde mir
in der Partei eine Machtposition sichern, durch die ich beim nächsten Mal bessere Chancen hätte.«
Raymond wartete noch eine Woche, bevor er seine Kandidatur bekanntgab. Auf einer überfüllten Pressekonferenz am folgenden Montag teilte er mit, daß er für das Amt eines stellvertretenden Parteiführers kandidieren werde.
Unter den vier Kandidaten für die Parteiführung gab es keinen erklärten Favoriten, obwohl die meisten annahmen, Benn werde nach dem ersten Wahlgang in Führung liegen. Hattersley traf mit Smith eine Vereinbarung: Wer beim ersten Durchgang mehr Stimmen bekam, blieb im Rennen; der andere sollte zurücktreten und bei der Stichwahl den Führer des rechten Flügels unterstützen. Als die Stimmen gezählt wurden, lag Benn, wie vorausgesagt, an der Spitze, Kinnock auf dem dritten Platz. Als dieser sich zurückzog, bat er seine Wähler zur allgemeinen Überraschung, Benn nicht zu unterstützen. Er war
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