Archer Jeffrey
der Meinung, daß die Partei unter Benn noch länger in der Opposition bleiben würde. Einige Stunden später verkündete der Parteivorsitzende, daß Benn gründlich geschlagen sei. Die Labour-Partei hatte einen neuen gemäßigten Führer.
Dann folgte die Wahl des stellvertretenden Parteiführers. Obwohl der neue Parteichef keinen Hehl aus seinen Sympathien für Raymond machte, erwartete man ein knappes Resultat. Joyce lief in letzter Minute von einem Delegierten zum anderen, während Raymond sich bemühte, ruhig zu erscheinen. An diesem Sonntagabend verkündete der Vorsitzende der Nationalen Exekutive der Labour Party, daß Raymond Gould mit knappem Vorsprung von drei Prozent der neugewählte stellvertretende Parteiführer sei. Außerdem wurde Raymond sofort zum Finanzminister des Schattenkabinetts ernannt.
Unter den vielen Briefen und Telegrammen fand Raymond auch eine Nachricht von Kate: »Meinen Glückwunsch. Aber hast du Punkt 5 (4) der Parteistatuten gelesen?« Raymond antwortete: »Nein. Las ihn soeben. Hoffentlich ist das ein gutes Omen.«
Im ersten Jahr wirkte das neue Labour-Team frisch und voller Ideen, während Mrs. Thatcher müder und resignierter wurde. Auch daß Gary Hart im November 1988 zum neuen U.S.Präsidenten gewählt wurde, machte ihr das Leben nicht leichter. Seine Absicht, die Arbeitslosenrate zu senken und mehr Mittel aufzuwenden, um den »echten Demokraten« zu helfen, bescherte Großbritannien eine Reihe neuer Probleme. Über Nacht stieg das Pfund gegenüber dem Dollar, und die Exportaufträge verstaubten in den Büros der Lagerhäuser.
Aber es war der Beschluß der neuen Regierungen in Brasilien und Argentinien, jede Rückzahlung der von den Militärregierungen aufgenommenen Kredite zu verweigern, der alle Wirtschaftsprognosen über den Haufen warf und die Bank of England schwer traf.
Während des langen kalten Winters 1988 verloren die Konservativen einige Abstimmungen im Unterhaus und viele andere in den Ausschüssen. Die Premierministerin schien erleichtert, Weihnachten auf ihrem Landsitz in Chequers verbringen zu können.
Die Erleichterung dauerte nur kurz; zwei konservative Abgeordnete starben, bevor das Unterhaus im Januar wieder zusammentrat. Die Presse nannte die Regierung eine »lahme Ente«.
Beide Nachwahlen fanden im Mai statt: die Konservativen schnitten besser ab als erwartet, behielten einen Sitz und verloren den anderen. Mrs. Thatcher entschied sich zum drittenmal für Neuwahlen im Juni.
Nach zehn Jahren Thatcher schien das Land nach Raymonds Ansicht reif zu sein für einen Wechsel. Die monatlichen Arbeitslosen-, die Exportziffern und die Inflation, die während des Wahlkampfes in regelmäßigen Abständen bekanntgegeben wurden, verhießen nichts Gutes für die Konservativen.
Die oft wiederholte Bitte der Premierministerin, man solle doch die Regierung nicht nach den monatlichen Ziffern beurteilen, klang nicht mehr überzeugend, und in der letzten Woche wurde nur noch die Frage laut, ob die Labour-Partei eine arbeitsfähige Mehrheit erreichen werde oder nicht.
Am Freitag nach der Wahl sagte Joyce ihrem Mann, daß die Computervorhersage mit einer Mehrheit von vier Sitzen rechnet. Gemeinsam fuhren Joyce und Raymond durch ihren Wahlkreis, bevor sie mit Raymonds Eltern einen späten Lunch einnahmen. Als sie den kleinen Fleischerladen verließen, wurden sie auf dem Gehweg von einer Menge begeisterter Leute empfangen, die sie jubelnd bis zu ihrem Auto begleiteten. Raymond und Joyce fuhren nach London zurück und erreichten Cowley Street rechtzeitig, um den ersten Labour-Premierminister seit 1979 aus dem Buckingham Palace kommen zu sehen. Die Fernsehteams folgten ihm den ganzen Weg bis nach Downing Street 10.
Diesmal mußte Raymond nicht lang auf einen Anruf warten; die erste Ernennung, die der Premier bekanntgab, war die des Chancellor of the Exchequer, des Finanzministers. Am Nachmittag fuhren Raymond und Joyce in die Downing Street Nr. 11 und beauftragten den Häusermakler, ihr Haus in Cowley Street für ein halbes Jahr zu vermieten. Ob man den Vertrag verlängern werde, wisse man noch nicht. Joyce verbrachte viele Stunden damit, ihr neues Heim zu inspizieren und einige der Dinge zu ersetzen, die sie von Diana Brittan geerbt hatte, während Raymond sein Team vom Transport House zusammentrommelte, um das erste Labour-Budget vorzubereiten und noch mehr von dem zu ersetzen, was sein Amtsvorgänger Leon Brittan hinterlassen hatte.
Als seine Berater ins Transport House
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