Archer Jeffrey
den Fraktionsvorsitzenden, einen entsprechenden Kandidaten vorzuschlagen. Als Charles um ein privates Gespräch mit dem Parteiführer bat, stimmte Simon sofort zu.
Am nächsten Morgen erschien Charles im Büro des Oppositionsführers. Seit dem Kampf um die Parteiführung war es ihr erstes Zusammentreffen. Charles’ Haar war weiß geworden, und die tiefen Falten in seinem Gesicht ließen ihn milder erscheinen. Auch die kerzengerade Haltung war dahin; jetzt ging Charles ein wenig gebeugt, stellte Simon fest. Wer die beiden sah, hielt sie sicher nicht für gleichaltrig. Charles Bitte war ein Schock für Simon; niemals hatte er seinen großen Rivalen als Kandidaten für dieses Amt betrachtet.
»Aber ich möchte, daß du auf die vordere Bankreihe zurückkehrst und mein Finanzminister wirst«, sagte er. »Du weißt, ich wäre glücklich, dich in meinem Team zu haben.«
»Das ist sehr freundlich von dir«, sagte Charles, »aber ich ziehe das ruhigere Leben eines Schlichters dem eines Kämpfers vor; ich habe nicht mehr den Wunsch anzugreifen. Du hattest zwanzig Jahre lang das Glück, daß dir Elizabeth und eure beiden Söhne einen Halt gaben; erst seit kurzem finde ich das gleiche bei Harry.«
Es heißt, daß alle Parlamentarier einmal in ihrer Karriere einen großen Moment erleben, und Alec Pimkin erlebte ihn an diesem Tag. Die Wahl eines Speakers ist eine drollige Angelegenheit. Nach alter Tradition darf niemand den Eindruck erwecken, diese Ehre zu wünschen, und nur selten wird mehr als eine Person für dieses Amt vorgeschlagen. Zur Zeit Heinrichs VI. wurden im Laufe eines Jahres drei Speaker geköpft, heutzutage sind es eher die vielen Pflichten, die oft den vorzeitigen Tod des Speakers herbeiführen. Die Tradition der Widerwilligkeit hat sich die Jahrhunderte hindurch gehalten, und deshalb weiß ein künftiger Speaker oft nicht, wer ihn vorgeschlagen hat. In einem blauen Anzug mit roter Nelke und seiner Lieblingsfliege mit den rosa Tupfen, erhob sich Alec Pimkin, um zu beantragen, daß »der Right Honourable Charles Seymour das Amt eines Speakers übernehmen solle.« Seine Rede war ernst und gleichzeitig witzig, informiert und gleichzeitig persönlich. Neun Minuten lang hielt er das Unterhaus mit seiner Rede im Bann. »Er erwies seinem alten Freund eine große Ehre«, murmelte ein Abgeordneter, als Pimkin sich setzte, und Charles’ Miene zeigte deutlich, daß er das gleiche dachte, was immer in der Vergangenheit vorgefallen war.
Nachdem jemand den Antrag unterstützt hatte, gebot es die Tradition, den künftigen Speaker zu seinem Stuhl zu zerren. Diese stets komische Zeremonie, die von Gelächter und Beifall begleitet wird, war in diesem Fall noch grotesker als gewöhnlich: der kleine, rundliche Pimkin und sein Sekundant von der Labour Party schleiften den hochgewachsenen ehemaligen Gardeoffizier von der dritten Reihe der Hinterbänke nach vorne bis zum Stuhl des Speakers.
Charles sah von seinem neuen Platz aus auf den Saal. Er sprach seinen Dank für die große Ehre aus, die man ihm erwiesen hatte. Schon als er sich zu seiner vollen Höhe aufgerichtet hatte, wußte jeder Abgeordnete, daß man den richtigen Mann gewählt hatte. Charles’ Zunge war nicht mehr so scharf, aber seine angeborene Sicherheit und Autorität ließen niemandem im Zweifel darüber, daß Mr. Speaker Seymour Ordnung zu halten beabsichtigte, viele Jahre hindurch.
Bei der Nachwahl behielten die Konservativen ihren Sitz in Croydon und errangen sechs Wochen später einen gefährdeten Sitz. Die Presse wies daraufhin, daß Regierung und Opposition gleich stark sein würden, falls die Torys und die Allianz sich zusammentaten. Dann könnten die siebzehn irischen Abgeordneten über das Schicksal des Parlaments entscheiden. Raymond war der Ansicht, daß die Regierung noch ein paar Wochen aushalten mußte, damit er sein drittes Budget vorstellen konnte; er hielt es für eine geeignete Wahlkampf-Plattform.
Auch Andrew wußte, daß Raymonds nächstes Budget die Chancen der Labour-Partei bei den Wahlen vergrößern würde, und bei einer offiziellen Besprechung mit dem Oppositionsführer schlug er einen Mißtrauensantrag vor.
Simon war damit einverstanden und meinte, Ende März wäre ein guter Zeitpunkt dafür. Sollte man den Mißtrauensantrag durchbringen, würde man vor der Budgetdebatte Neuwahlen ausschreiben müssen.
Eine Woche vor der Abstimmung über den Mißtrauensantrag hatte Raymond eine Einladung zu einer großen LabourVersammlung in Cardiff
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