Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rivalen
Vom Netzwerk:
Gefühle hegen würde.
    Raymond Gould machte sich im Arbeitsministerium sehr rasch einen Namen; man hielt ihn für außerordentlich klug, anspruchsvoll, hart arbeitend und – das erfuhr er jedoch nicht – arrogant. Seine Gewohnheit, einen jungen Beamten mitten im Satz zu unterbrechen oder seine Privatsekretärin wegen irgendeiner Kleinigkeit zu kritisieren, machte ihn auch bei seinem engsten Mitarbeiterstab nicht beliebt.
    Raymond bewältigte ein enormes Arbeitspensum und selbst der Ständige Sekretär lernte sein unerbittliches »Suchen Sie nicht Ausreden« kennen, wenn dieser versuchte, eines von Raymonds privaten Projekten zu beschneiden. Bald unterhielten sich ältere Beamte nicht darüber, ob, sondern wann er befördert werden würde. Sein Minister, der manchmal gleichzeitig an sechs Orten sein sollte, bat ihn oft, für ihn einzuspringen, doch selbst Raymond war überrascht, als man ihn einlud, bei dem jährlichen Industriellentreffen das Ministerium als Ehrengast zu vertreten.
    Joyce vergewisserte sich, daß sein Smoking ausgebürstet und sein Hemd tadellos war; seine Schuhe glänzten wie die eines Gardeoffiziers. Seine sorgfältig vorbereitete Rede – eine Kombination aus korrekter Beamtensprache und ein paar eigenen kräftigen Formulierungen, mit denen er den versammelten Kapitalisten beweisen wollte, daß nicht jeder Labour-Abgeordnete ein braver Mitläufer war – steckte in der Innentasche. Der Chauffeur brachte ihn von der Landsdowne Road zum Westend.
    Raymond genoß die Einladung. Als er nach dem Toast der Gäste aufstand, um für die Regierung zu sprechen, war er ein bißchen nervös, doch als er geendet hatte, glaubte er, sich gut geschlagen zu haben. Der Beifall war mehr als höflich, obwohl er von einem naturgemäß negativ eingestellten Publikum kam.
    »Diese Rede war kälter als Chablis«, flüsterte ein Gast dem Vorsitzenden zu, mußte jedoch zugeben, daß es mit einem Mann wie Gould in einer hohen Position leichter sein würde, mit den Sozialisten auszukommen.
    Der Mann zu Simons Linken war wesentlich direkter in seiner Meinung über Gould. »Der verdammte Kerl denkt wie ein Tory, spricht wie ein Tory, warum, zum Teufel, ist er kein Tory?«
    Simon grinste den Mann mit dem schütteren Haarwuchs an, der auch während des Dinners unverblümt seine Ansichten geäußert hatte. Ronnie Nethercote, korpulent, mit rötlichem Gesicht, sah aus, als versuche er, sein Dinnerjackett zu sprengen.
    »Ich nehme an«, antwortete Simon, »daß Gould, der in den dreißiger Jahren geboren ist und in Leeds aufwuchs, wenig Chancen hatte, sich den Jungen Konservativen anzuschließen.«
    »Unsinn«, sagte Ronnie, »mir ist es auch gelungen, und ich wurde im Londoner East End geboren. Sagen Sie mir, Mr. Kerslake, was machen Sie, wenn Sie Ihre Zeit nicht im Unterhaus vergeuden?«
    Nach dem Essen blieb Raymond noch eine Weile, um sich mit den Industriekapitänen zu unterhalten. Kurz nach elf machte er sich auf den Heimweg. Sein Chauffeur fuhr langsam die Park Lane entlang, und der Under Secretary drehte sich um, um seinem Gastgeber zu winken. Jemand anderer erwiderte das Winken. In der Annahme, es sei ein Gast, warf Raymond nur einen Blick über die Straße – bis er ihre Beine sah. Vor der Tankstelle auf Park Lane stand ein junges Mädchen und lächelte einladend; ihr Minirock aus weißem Leder war so kurz, daß er eher einem Taschentuch glich. Die langen Beine erinnerten ihn an Joyces Beine vor zehn Jahren. Diese Beine aber waren schwarz. Das fein gekräuselte Haar und ihr Mund gingen Raymond während der ganzen Heimfahrt nicht aus dem Sinn.
    In Landsdowne Road kletterte Raymond aus dem Wagen, sagte dem Chauffeur »Gute Nacht« und ging langsam zum Haustor, ohne den Schlüssel herauszunehmen. Als das Auto verschwunden war, sah er zum Schlafzimmerfenster hinauf. Kein Licht. Joyce schlief schon.
    Er schlich auf den Gehweg zurück, um zu sehen, wo Joyce den Sunbeam geparkt hatte. An seinem Schlüsselbund war ein Reserveschlüssel. Er öffnete den Wagen und kam sich vor wie ein Autodieb. Nach dem dritten Versuch sprang der Motor an, und Raymond fragte sich, ob er die ganze Straße weckte, als er, unsicher, was ihn erwartete, das Auto wieder in Richtung Park Lane lenkte. Langsam fuhr er mitten im Verkehrsstrom. Die letzten Gäste verließen eben Grosvenor House. Er fuhr an der Tankstelle vorbei. Das Mädchen hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Wieder lächelte sie, und er beschleunigte, so daß er fast das Auto vor ihm

Weitere Kostenlose Bücher