Archer Jeffrey
Natürlich. Du bist nach
Chikago gegangen. Was tust du hier?«
»Ich arbeite hier, wie du siehst. Möchten Sie Tee, Sir?« Ihr polnischer Akzent freute Abel.
»Komm mit mir heute zu Abend essen.«
»Das kann ich nicht, Wladek. Wir dürfen nicht mit den Gästen
ausgehen. Sonst verlieren wir sofort unsere Stellung.«
»Ich bin kein Gast«, widersprach Abel, »ich bin ein alter Freund.« »Der mich, sobald er sich zurechtgefunden hatte, in Chikago
besuchen wollte. Du bist nicht gekommen und hast vergessen, daß ich
hier bin.«
»Ich weiß, ich weiß. Verzeih mir, Zaphia. Gehen wir zusammen
essen. Nur dieses eine Mal.«
»Nur dieses eine Mal«, wiederholte sie.
»Treffen wir uns um sieben Uhr bei Brundage. Paßt dir das?« Zaphia errötete, als sie den Namen hörte. Es war eines der teuersten
Restaurants von Chikago, und sie wäre nervös gewesen, dort als
Kellnerin hinzugehen, geschweige denn als Gast.
»Nein, gehen wir weniger großartig essen, Wladek.«
»Wohin?« »
»Kennst du ›The Sausage‹ an der Ecke der 43. Straße?« »Nein«, gestand er. »Aber ich werde es finden. Sieben Uhr.« »Sieben Uhr, Wladek. Das wird gemütlich. Übrigens, möchtest du
Tee?«
»Nein, ich glaube nicht.«
Sie lächelte und ging. Er blieb sitzen und schaute eine Weile zu, wie
sie Tee servierte. Sie war viel hübscher, als er sie in Erinnerung hatte.
Vielleicht würde es nicht so schwer sein, die Zeit bis Montag
totzuschlagen.
»The Sausage« brachte Abels schlimmste Erinnerungen an seine ersten Tage in Amerika zurück. Er trank ein kaltes Ingwerbier, wartete auf Zaphia und schaute mit professioneller Mißbilligung zu, wie die Kellner die Speisen auf die Tische knallten. Was war schlimmer - die Bedienung oder das Essen? Schwer zu entscheiden. Zaphia erschien fast zwanzig Minuten zu spät, aber sie war hübsch in ihrem frischen gelben Kleid, das aussah, als wäre es vor kurzem erst länger gemacht worden, um der neuesten Mode zu entsprechen, aber es brachte ihre einst schmächtige Gestalt gut zur Geltung. Die grauen Augen suchten nach Wladek, und ihre Wangen röteten sich, als sie die Blicke der anderen Männer merkte.
»Guten Abend, Wladek«, sagte sie auf polnisch.
Abel stand auf und bot ihr einen Stuhl neben dem Kamin an. »Ich bin froh, daß du kommen konntest«, sagte er englisch.
Einen Augenblick lang sah sie ihn erstaunt an, dann sagte sie, ebenfalls auf englisch: »Es tut mir leid, daß ich verspätet bin.«
»Ach, ich hatte es gar nicht bemerkt. Willst du etwas trinken, Zaphia?«
»Nein, danke.«
Eine Weile sprachen sie beide nicht, dann sprachen sie beide gleichzeitig.
»Ich vergaß, wie hübsch…« sagte Abel.
»Wie hast du…« sagte Zaphia.
Sie lächelte schüchtern, und Abel wollte sie berühren. Damals, vor acht Jahren, erinnerte sich Abel, hatte er, als er sie zum erstenmal sah, den gleichen Wunsch verspürt.
»Wie geht’s George?« fragte sie.
»Ich habe ihn seit mehr als zwei Jahren nicht gesehen«, erwiderte Abel und fühlte sich plötzlich schuldbewußt. »Ich habe hier in einem Hotel in Chikago gearbeitet und dann…«
»Ich weiß«, sagte Zaphia, »jemand hat das Hotel niedergebrannt.« »Warum bist du nie gekommen, mir guten Tag sagen?«
»Ich dachte, du hättest mich vergessen, und ich hatte recht, Wladek.«
»Wie hast du mich überhaupt erkannt?« fragte Abel. »Ich bin viel dicker geworden.«
»Der Silberreif«, antwortete sie einfach.
Abel schaute auf sein Handgelenk und lachte. »Diesem Reif verdanke ich viel, und jetzt muß ich ihm danken, daß er uns wieder zusammengebracht hat.«
Sie vermied seinen Blick. »Was machst du jetzt, da du kein Hotel mehr führen kannst?«
»Ich suche einen Job«, sagte Abel und wollte sie nicht mit der Neuigkeit einschüchtern, daß man ihm angeboten hatte, das Stevens zu führen.
»Im Stevens wird eine großartige Stellung frei. Das hat mir mein Freund gesagt.«
»Dein Freund?« wiederholte Abel, und jedes Wort tat weh.
»Ja, man wird sich bald nach einem neuen Direktorstellvertreter umsehen müssen. Warum bewirbst du dich nicht um die Stellung? Ich bin sicher, du hättest gute Chancen, Wladek. Ich wußte immer, daß du in Amerika deinen Weg machen würdest.«
»Vielleicht werde ich mich bewerben. Nett von dir, an mich zu denken. Warum bewirbt sich dein Freund nicht?«
»Ach, er ist zu jung, um in Frage zu kommen; er bedient im Speisesaal, so wie ich.«
Plötzlich hätte Abel gern mit ihm getauscht.
»Wollen wir bestellen?« fragte er. »Ich bin nicht gewöhnt, auswärts
Weitere Kostenlose Bücher