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Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kain und Abel
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zu essen«, sagte Zaphia. Unsicher studierte sie die Speisekarte. Plötzlich merkte Abel, daß sie immer noch nicht englisch lesen konnte, und bestellte für sie beide.
Sie aß mit Vergnügen und war voll des Lobes für das eher mittelmäßige Essen. Nach Melanies gelangweilter Überlegenheit fand Abel ihre unkritische Begeisterung erfrischend. Sie erzählten einander ihre Erlebnisse in Amerika. Zaphia hatte als Hausmädchen begonnen und war zur Kellnerin im Stevens avanciert. Diese Stellung hatte sie seit sechs Jahren inne. Abel erzählte ihr seinen ganzen Werdegang, bis sie schließlich auf seine Uhr schaute.
»Schau, wie spät es ist, Wladek. Nach elf Uhr, und morgen bin ich zum ersten Frühstück um sechs Uhr eingeteilt.«
Abel hatte nicht bemerkt, daß vier Stunden vergangen waren. Er wäre gern sitzen geblieben und hätte ihr die ganze Nacht hindurch erzählt - ihre unverhohlene Bewunderung war Balsam für ihn.
»Darf ich dich wiedersehen, Zaphia?«
Arm in Arm gingen sie zum Stevens zurück.
»Wenn du willst, Wladek.«
Vor dem Personaleingang des Hotels blieben sie stehen.
»Hier gehe ich hinein«, sagte sie. »Wenn du Direktorstellvertreter wirst, darfst du beim Haupteingang hineingehen.«
»Macht es dir etwas aus, mich Abel zu nennen?«
»Abel?« wiederholte sie und probierte den Namen wie einen neuen Handschuh. »Aber du heißt doch Wladek.«
»Nicht mehr. Jetzt heiße ich Abel Rosnovski.«
»Abel ist ein komischer Name, aber er paßt zu dir. Danke für das Nachtessen, Abel. Es war schön, dich wiederzusehen. Gute Nacht.«
»Gute Nacht, Zaphia.«
Sie war verschwunden.
Er schaute ihr nach, dann ging er langsam um das Gebäude herum zum Haupteingang. Plötzlich - und nicht zum erstenmal im Leben fühlte er sich einsam.
Abel dachte das ganze Wochenende an Zaphia und an die Erinnerungen, die mit ihr verbunden waren - an den Geruch des Zwischendecks, an die Einwanderer, die auf Ellis Island Schlange standen, und vor allem an die kurze, leidenschaftliche Begegnung im Rettungsboot. Er nahm alle Mahlzeiten im Hotelrestaurant ein, um Zaphia nahe zu sein und ihren Freund zu beobachten. Er kam zu dem Schluß, es müsse der junge Kellner mit den Pickeln sein. Er dachte, er hoffte, daß der Bursche Pickel hatte; ja, er hatte Pickel. Dessen ungeachtet war er leider der hübscheste Junge unter den Kellnern.
Abel wollte Zaphia Samstag ausführen, sie mußte jedoch den ganzen Tag arbeiten. Immerhin gelang es ihm, sie am Sonntag in die Kirche zu begleiten; halb ärgerlich, halb wehmütig hörte er den Priester die unvergessenen Worte der Messe anstimmen. Seit Polen war es das erstemal, daß Abel eine Kirche betrat. Damals hatte er die Grausamkeiten noch nicht erlitten, die es ihm jetzt unmöglich machten, an einen gütigen Gott zu glauben. Die Belohnung für den Kirchenbesuch kam, als Zaphia ihm erlaubte, auf dem Heimweg ihre Hand zu halten.
»Hast du dir die Stellung im Stevens überlegt?« wollte sie wissen.
»Morgen früh werde ich die Entscheidung hören.«
»Ach, da freue ich mich. Ich bin sicher, daß du ein guter Direktorstellvertreter sein wirst.«
»Danke«, sagte Abel und merkte, daß jeder von etwas anderem gesprochen hatte.
»Willst du heute abend mit meinen Vettern essen?« fragte Zaphia. »Sonntag abends bin ich immer bei ihnen.«
»Ja, sehr gern.«
Zaphias Vettern wohnten in der Nähe von ›The Sausage‹, im Stadtzentrum. Sie waren unerhört beeindruckt, als Zaphia mit einem polnischen Freund aufkreuzte, der einen Buick fuhr. Die Familie, wie Zaphia sie nannte, bestand aus zwei Schwestern, Katja und Janina, und Katjas Mann, Janek. Abel brachte jeder Schwester einen Rosenstrauß, setzte sich und beantwortete in fließendem Polnisch alle ihre Fragen über seine Zukunftsaussichten. Zaphia war merkbar verlegen, aber Abel wußte, daß in einem polnischamerikanischen Haushalt jeder neue Freund Auskunft zu geben hatte. Er war bemüht, seine Erfolge, seit er das Fleischergeschäft verlassen hatte, möglichst herunterzuspielen, weil er Janeks neidvolle Blicke auf sich ruhen fühlte. Katja tischte ein einfaches polnisches Mahl auf - Pierogi und Bigos -, das Abel vor fünfzehn Jahren mit wesentlich mehr Vergnügen gegessen hätte. Er gab Janek als hoffnungslos auf und konzentrierte sich darauf, den Schwestern zu gefallen; es sah aus, als hätte er damit Erfolg. Vielleicht gefiel ihnen aber auch der Junge mit den Pickeln. Nein, unmöglich; der war nicht einmal Pole - oder vielleicht doch? Abel wußte nicht einmal seinen

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