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Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kain und Abel
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und ich werde dich nicht
mehr länger in der Küche halten können. Also hör gut zu, denn ich
habe einen Fluchtplan für dich ausgeheckt.«
»Gemeinsam«, sagte Wladek, »gemeinsam.«
»Nein, du allein. Ich bin zu alt für eine so lange Reise, und obwohl
ich fünfzehn Jahre von einer Flucht geträumt habe, würde ich dich nur
aufhalten. Es wird mir das Wissen genügen, daß jemand anderer es
geschafft hat, und du bist der erste Mensch, der mich überzeugt hat,
daß die Flucht gelingen kann.«
Wladek saß auf dem Boden und hörte dem Arzt schweigend zu. »Ich habe im Lauf der fünfzehn Jahre zweihundert Rubel erspart
als russischer Gefangener wird man für Überstunden kaum bezahlt.« Wladek versuchte über diesen uralten Lagerwitz zu lächeln. »Das
Geld ist in einer Medikamentenflasche verborgen vier Fünfzig-RubelNoten. Wenn du uns verläßt, muß das Geld in deine Kleider eingenäht
sein. Das werde ich für dich besorgen.«
»Was für Kleider?« fragte Wladek.
»Vor zwölf Jahren, als ich noch an eine Fluchtmöglichkeit glaubte,
habe ich einen Wächter bestochen, mir einen Anzug und ein Hemd zu
überlassen. Sie sind nicht mehr ganz modern, aber gut genug für
diesen Zweck.«
Fünfzehn Jahre, um zweihundert Rubel zusammenzukratzen und
einen Anzug und ein Hemd; und der Arzt war dabei, Wladek alles
abzutreten. Nie mehr in seinem Leben sollte Wladek auf solche
Selbstlosigkeit treffen.
»Nächsten Donnerstag erhältst du deine große Chance«, fuhr der
Arzt fort. »In Irkutsk kommt ein Zug mit neuen Gefangenen an. Die
Wachen werden vier Leute aus der Küche mitnehmen, um den
Lastwagen mit Lebensmitteln für die Neuankömmlingen zu
organisieren. Ich habe bereits mit dem Küchenchef gesprochen« er
lachte über das Wort - »er bekommt ein paar Medikamente, und dafür
wirst du auf dem Küchenlastwagen sein. Es war nicht sehr schwierig,
denn niemand reißt sich um die lange Reise hin und wieder zurück -
aber du wirst nur die Hinreise mitmachen.«
Wladek hörte gespannt zu.
»Warte auf dem Bahnhof, bis der Zug mit den Gefangenen
ankommt. Sobald alle auf dem Bahnsteig sind, gehst du über die
Schienen zu dem Zug nach Moskau, der erst nach Ankunft des
Gefangenenzuges abfahren kann, weil es nur einen Schienenstrang
gibt. Bete, daß die Wachen dein Verschwinden nicht bemerken
werden; es stehen ja währenddessen Hunderte neue Gefangene herum.
Von diesem Moment an bist du auf dich selbst angewiesen. Denk
daran, daß du, wenn man dich entdeckt, sofort erschossen wirst. Es
gibt nur noch eines, das ich für dich tun kann: Als ich vor fünfzehn
Jahren hierhergebracht wurde, zeichnete ich aus dem Gedächtnis eine
Karte mit der Route von Moskau in die Türkei. Vielleicht stimmt sie
nicht mehr genau, aber sie sollte dir genügen. Vergewissere dich, daß die Russen nicht auch die Türkei besetzt haben. Gott allein weiß, was sie in letzter Zeit alles getan haben. Vielleicht ist ganz Frankreich in
russischer Hand.«
Der Arzt ging zum Medikamentenschrank und entnahm ihm eine
große Flasche, die aussah, als sei sie mit einer braunen Substanz
angefüllt. Er schraubte den Verschluß auf und nahm ein altes Stück
Pergament heraus. Im Laufe der Jahre war die schwarze Tinte
verblaßt. Oktober 1904, stand auf der Karte, auf der der Weg von
Moskau nach Odessa und von Odessa in die Türkei eingezeichnet war
- zweitausendsiebenhundert Kilometer bis zur Freiheit.
»Komm jeden Morgen zu mir, und wir werden deinen Plan in allen
Details besprechen. Wenn er mißlingt - ungenügende Vorbereitungen
dürfen jedenfalls nicht die Schuld tragen.«
Wladek blieb jede Nacht wach, starrte durch das Fenster auf die
glühenden Augen der Wölfe, überlegte, wie er sich in den
verschiedensten Situationen verhalten würde, und machte sich auf alle
Eventualitäten gefaßt. Am Morgen besprach er den Plan mit dem Arzt
wieder und wieder. Mittwoch abend, am Vortag der Flucht, faltete der
Arzt die Karte achtmal zusammen, legte sie zu den vier FünfzigRubel-Noten und nähte das kleine Paket in den Ärmel des Anzugs.
Wladek zog sich aus, zog den Anzug und die Gefangenenkleidung
darüber. Während er sich umzog, fiel der Blick des Arztes auf den
Silberreif, den Wladek, aus Angst, die Wärter könnten seinen Schatz
entdecken und stehlen, über seinem Ellbogen trug.
»Was ist das?« fragte er. »Es sieht sehr prächtig aus.«
»Ein Geschenk meines Vaters«, sagte Wladek. »Darf ich es Ihnen
als Zeichen meines Dankes schenken?«
Er legte den Reifen ab und reichte ihn dem

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