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Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kain und Abel
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anderes Geld. In Rußland war er arm gewesen; hier besaß er keinen Heller. Er würde die Apfelsine stehlen müssen; wenn man ihn erwischte, würde er sie zurückwerfen. Wladek ging, wie es Stefan getan hatte, an das andere Ende des Marktes, aber weder konnte er so stolzieren wie dieser noch verspürte er das gleiche Selbstvertrauen. Er wählte den letzten Stand, und als er sicher war, daß ihn niemand beobachtete, nahm er eine Apfelsine und lief davon. Plötzlich gab es einen Aufruhr. Es war, als jagte ihn die ganze Stadt.
    Ein großer Mann stürzte sich auf den hinkenden Jungen und warf ihn zu Boden. Sechs oder sieben Leute griffen nach seinen verschiedenen Körperteilen, und eine Gruppe von Menschen umgab ihn, während man ihn zum Stand zurückzerrte. Dort erwartete ihn bereits ein Polizist. Er schrieb etwas auf und führte eine laute Unterhaltung mit dem Verkäufer. Bei jeder neuen Feststellung wurden die Stimmen schriller. Dann wandte sich der Polizist an Wladek und schrie ihm etwas zu, was Wladek nicht verstand. Der Polizist zuckte die Achseln, packte ihn am Ohr und führte ihn ab. Die Umstehenden fuhren fort, Wladek zu beschimpfen, und jemand bespuckte ihn. Auf der Polizeistation führte man Wladek in das Kellergeschoß und warf ihn in eine winzige Zelle, in der sich bereits zwanzig oder dreißig Kriminelle befanden - Halunken, Diebe, Gott weiß wer. Wladek sprach sie nicht an, und sie zeigten auch keine Lust, sich mit ihm zu unterhalten. Schweigend und in Todesangst kauerte er mit dem Rücken zur Wand in einer Ecke. So blieb er mindestens einen Tag und eine Nacht; ohne Licht und ohne Nahrung. Der Gestank der Exkremente verursachte ihm Übelkeit, und er erbrach, bis er nichts mehr in sich hatte. Nie hätte er gedacht, daß ihm eines Tages der Kerker von Slonim friedlich und ruhig erscheinen würde.
    Am folgenden Tag holten ihn zwei Wächter aus dem Verlies und brachten ihn in einen Raum, wo er sich mit anderen Gefangenen in Reih und Glied aufstellen mußte. Mit einem Strick aneinandergefesselt, wurden die Häftlinge aus dem Gefängnis und auf die Straße getrieben. Draußen war bereits eine Menschenmenge versammelt, und ihr lautes Geschrei ließ Wladek vermuten, daß sie auf das Erscheinen der Gefangenen gewartet hatte. Rufend, brüllend und klatschend folgte ihnen die Menge auf den Marktplatz. Warum, wollte sich Wladek gar nicht ausmalen. Als sie den Marktplatz erreicht hatten, blieben die Gefangenen stehen. Der erste Gefangene wurde losgebunden und in die Mitte des Platzes geschoben, wo sich bereits Hunderte schreiende Menschen drängten.
    Ungläubig beobachtete Wladek das Schauspiel. Als der erste Gefangene die Platzmitte erreicht hatte, wurde er von einem Wärter auf die Knie gezwungen; seine rechte Hand wurde an einen Holzblock geschnallt. Ein Riese von einem Mann schwang ein Schwert über seinem Kopf und ließ es mit voller Kraft auf das Handgelenk des Mannes herabsausen. Er traf jedoch nur die Fingerspitzen. Der Gefangene brüllte auf, und das Schwert wurde zum zweitenmal gehoben. Diesmal traf er das Gelenk, aber die Arbeit war noch nicht erledigt, denn das Gelenk baumelte am Arm des Gefangenen, und sein Blut floß in den Sand. Ein drittes Mal wurde das Schwert gehoben, ein drittes Mal sauste es herab. Endlich fiel die Hand des Gefangenen zu Boden, und die Menge schrie Beifall. Der Gefangene wurde freigegeben und sank bewußtlos zu Boden. Eine gleichgültige Wache schleppte ihn fort, und ein weinendes Weib - seine Frau, vermutete Wladek schlang rasch ein blutiges Tuch um den Stumpf. Der zweite Gefangene starb an dem Schock, bevor das Schwert zum viertenmal niedersauste. Der riesige Henkersknecht fuhr mit seiner Arbeit fort, der Tote interessierte ihn nicht; er wurde bezahlt, Hände abzuschlagen.
    Verzweifelt schaute sich Wladek um und hätte erbrochen, wäre noch etwas in seinem Magen gewesen. Wo gab es Hilfe, wo eine Fluchtmöglichkeit? Niemand hatte ihm gesagt, daß nach mohammedanischem Gesetz die Strafe für einen Fluchtversuch das Abhacken eines Fußes ist. Seine Blicke überflogen die vielen Gesichter, bis er in der Menge einen europäisch aussehenden Mann in dunklem Anzug sah. Der Mann stand etwa zwanzig Meter von Wladek entfernt und beobachtete das Schauspiel mit offensichtlichem Ekel. Aber weder schaute er in Wladeks Richtung, noch konnte er, inmitten des Geschreis, das bei jedem Schwertstreich ausbrach, Wladeks Hilferufe hören. War er Franzose, Engländer, Deutscher oder vielleicht sogar

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