Archer Jeffrey
beim Zahnarzt sein können, und es war das erste Mal, daß er lieber bei seinem Zahnarzt gewesen wäre. Nochmals ging er die Ereignisse der letzten vierzehn Stunden durch. Aus dem jungen Menschen ohne größere Verantwortlichkeit, der auch noch im zweiten seiner fünf Dienstjahre Freude an seiner Arbeit beim FBI hatte, war nun ein Mann geworden, der in den Rachen der Hölle starrte. Bisher war er erst einmal, anläßlich seiner Aufnahme, im FBIHauptquartier gewesen; damals hatte man ihm nicht gesagt, daß so etwas geschehen konnte. Man hatte über Gehälter, Zulagen, Urlaub, einem lohnenden, befriedigenden Job und vom Dienst an der Nation gesprochen. Griechische Einwanderer und schwarze Briefträger mit durchschnittenem Hals und Freunde, die im Potomac ertranken, waren nicht erwähnt worden. Er ging auf und ab und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Gestern hätte er eigentlich dienstfrei gehabt, wollte aber ein paar Überstunden machen, da er das Geld sehr gut brauchen konnte. Vielleicht wäre ein anderer Agent rascher ins Krankenhaus zurückgefahren und hätte den Doppelmord verhindert. Hätte er den blauen Ford genommen, so läge er vielleicht im Potomac, und Stames und Calvert wären nicht ertrunken. Vielleicht … Mark schloß die Augen, und er fühlte unwillkürlich einen kalten Schauder im Rücken. Er versuchte, die panische Angst zu unterdrücken, die ihn die ganze Nacht wachgehalten hatte, daß jetzt er an der Reihe sein könnte.
Sein Blick fiel auf eine Tafel an der Wand, auf der zu lesen war, daß in der beinahe sechzigjährigen Geschichte des FBI nur vierunddreißig Leute im Dienst getötet worden waren; nur ein einziges Mal waren zwei Beamte am selben Tag umgekommen. Das ist seit gestern überholt, dachte Mark grimmig. Sein Blick wanderte die Wand entlang zu einem großen Bild des Kapitels. Daneben hing ein ebenso großes Bild des Obersten Gerichtshofes; Regierung und Gesetz, Hand in Hand. Links waren die Porträts der fünf Direktoren: Hoover, Gray, Rukkelshaus, Kelley, und jetzt der gefürchtete H.A.L. Tyson, im Bureau unter der Bezeichnung Halt bekannt. Offenbar kannte niemand außer seiner Sekretärin seinen Vornamen. Es war ein alter Scherz im FBI: Wer neu eintrat, zahlte einen Dollar, ging zu Mrs. McGregor, seit siebenundzwanzig Jahren die Sekretärin des Direktors, und nannte ihr den Vornamen, den er für den des Direktors hielt. Wer ihn erriet, sollte den gesamten Einsatz’ bekommen. Im Augenblick betrug er 3.516 Dollar. Mark hatte auf Hector getippt. Mrs. McGregor hatte gelacht, und der Topf war um einen Dollar reicher. Wollte man nochmals raten, kostete das einen weiteren Dollar, irrte man sich aber auch diesmal, mußte man zehn Dollar Strafe zahlen. Eine ganze Reihe von Leuten versuchte ihr Glück ein zweites Mal, und mit jedem neuen Opfer wurde der Topf voller.
Mark hatte die, wie er glaubte, großartige Idee gehabt, die Fingerabdrücke der Verbrecherkartei durchzusehen. Die FBI-Fingerabdruckkartei ist in drei Kategorien eingeteilt – Militär, Zivilisten und Verbrecher; Die Fingerabdrücke der FBI-Agenten findet man in der Kategorie Verbrecher. So läßt sich jeder Agent, der zur anderen Seite überwechselt, aufspüren, vor allem aber können die Fingerabdrücke der Agenten auf dem Schauplatz eines Verbrechens eliminiert werden. Das kommt aber nur selten vor. Mark hatte sich für sehr gescheit gehalten, als er Tysons Karte zu sehen verlangte. Ein Beamter übergab ihm die gewünschte Karte, sie lautete: Größe l Meter 74, Gewicht 88 Kilogramm, Haar: braun, Beruf: Direktor des FBI, Name: Tyson H. A. L. Kein Vorname. Der Beamte, ein anonymer Mann im blauen Anzug, lächelte säuerlich; und während er die Karte zurücksteckte, murmelte er so laut, daß Mark es hören konnte:
»Noch ein Esel, der glaubt, auf die Schnelle dreitausend Dollar zu kriegen.«
Da das Bureau in den letzten zehn Jahren politischer geworden war, konnte der Kongreß der Ernennung eines Beamten der Exekutive, wie Halt einer war, sehr leicht zustimmen. Dem Gesetz zu dienen, lag Tyson im Blut. Sein Großvater war Bürgermeister und Polizeichef von Boston gewesen – eine seltene Kombination. Sein Vater war, bevor er in den Ruhestand trat, ein bekannter Staatsanwalt in Massachusetts gewesen. Daß der Enkel der Familientradition gefolgt war und schließlich Direktor des FBI wurde, erstaunte niemanden. Es kursierten unzählige Anekdoten über ihn, und Mark fragte sich manchmal, wie viele davon erfunden waren.
Es bestand
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