Archer Jeffrey
Chancen er dem Kandidaten einräumte. Er hatte erwartet, dass der Senator über seine Fähigkeiten als Redner sprechen würde, über seine juristische Erfahrung und seinen politischen Scharfsinn, stattdessen sagte Harry: »Nun, natürlich geht Mrs Hunter mit einem Vorsprung ins Rennen. Wir wissen alle, dass sie eine erfahrene Rednerin ist und sich in den lokalen Problemstellungen auskennt, aber es ist typisch für Fletchers offenen, ehrlichen Auftritt bei dieser Wahl, dass er bereit ist, sich ihr zu stellen.«
»Geht er damit nicht ein ungeheures Risiko ein, Senator?«, wollte ein anderer Journalist wissen.
»Aber natürlich«, räumte Harry ein. »Doch wie der Kandidat bereits sagte, wenn er nicht Manns genug ist, sich Mrs Hunter zu stellen, wie kann die Öffentlichkeit dann erwarten, dass er die sehr viel größere Herausforderung meistert, das Volk zu repräsentieren?«
Fletcher konnte sich nicht erinnern, so etwas gesagt zu haben, auch wenn er mit dem Inhalt dieser Worte konform ging.
Als nach dem Ende der Pressekonferenz auch der letzte Journalist gegangen war, fragte Fletcher: »Haben Sie mir nicht erzählt, Barbara Hunter sei eine schlechte Rednerin und brauche ewig für die Beantwortung von Fragen?«
»Ja, genau das habe ich gesagt«, gab Harry zu.
»Warum haben Sie dann den Journalisten erzählt, dass …«
»Das hat alles mit Erwartungshaltungen zu tun, mein Junge. Jetzt denken sie, du wärst ihr nicht gewachsen«, erwiderte Harry. »Sie glauben, sie würde mit dir den Boden wischen. Wenn du dich jetzt auch nur halbwegs tapfer schlägst, werden sie dich zum Gewinner erklären.«
» Hallo, ich bin Fletcher Davenport … «, rotierte es ständig in Fletchers Kopf, wie ein Gassenhauer, den er einfach nicht abschalten konnte.
30
NAT WAR BEGEISTERT, als Tom den Kopf zur Tür hereinstreckte und fragte: »Kann ich heute Abend einen Gast zum Essen mitbringen?«
»Natürlich. Geschäftlich oder privat?« Nat sah von seinem Schreibtisch auf.
Tom zögerte. »Ich hatte gehofft, es könnte beides sein.«
»Weiblich?«, fragte Nat, schon mehr interessiert.
»Entschieden weiblich.«
»Name?«
»Julia Kirkbridge.«
»Und wie …«
»Ende der Inquisition. Das kannst du sie heute Abend alles selbst fragen, denn sie kann sich prima um sich selbst kümmern.«
»Danke für die Warnung«, sagte Su Ling, als Nat ihr wenige Augenblicke nach seinem Eintreffen von dem zusätzlichen Gast erzählte.
»Ich hätte anrufen sollen, nicht wahr?«, sagte er.
»Das hätte mein Leben etwas einfacher gemacht, aber vermutlich hast du gerade Millionen gescheffelt.«
»Etwas in der Art.«
»Was wissen wir von ihr?«, erkundigte sich Su Ling.
»Nichts«, erwiderte Nat. »Du kennst doch Tom – wenn es um sein Privatleben geht, ist er verschlossener als ein Schweizer Banksafe, aber da er bereit ist, sie uns vorzustellen, besteht noch Hoffnung.«
»Was ist aus diesem umwerfenden Rotschopf namens Maggie geworden? Ich hatte eigentlich gedacht, dass …«
»Verschwunden, wie all die anderen. Erinnerst du dich, dass er jemals eine Frau mehr als einmal zu uns zum Essen mitgebracht hätte?«
Su Ling dachte über diese Frage einen Augenblick nach, dann gab sie zu: »Jetzt, wo du es erwähnst, kann ich mich nicht daran erinnern. Vermutlich liegt es an meinen Kochkünsten.«
»Nein, es liegt nicht an deinen Kochkünsten, aber ich fürchte, es ist schon deine Schuld.«
»Meine Schuld?«, fragte Su Ling.
»Ja, deine. Der arme Mann ist seit Jahren vernarrt in dich. Jede Frau, mit der er ausgeht, wird zu uns geschleppt, damit er sie mit dir vergleichen kann …«
»Nein, nicht schon wieder diese alte Kamelle«, bat Su Ling.
»Es ist keine alte Kamelle, kleine Blume. Genau da liegt das Problem.«
»Aber er hat nie mehr getan als mir die Wange zu küssen.«
»Und er wird auch nie mehr tun. Ich frage mich, wie viele Menschen jemand lieben, den sie noch nicht einmal auf die Wange geküsst haben.«
Nat verschwand nach oben, um Luke vorzulesen, während Su Ling ein viertes Gedeck auflegte. Sie polierte gerade ein zusätzliches Glas, als es schellte.
»Kannst du an die Tür gehen, Nat? Ich bin beschäftigt.« Es kam keine Antwort, darum nahm Su Ling die Schürze ab und ging selbst zur Tür.
»Hallo«, sagte Tom, beugte sich vor und küsste Su Ling auf die Wange.
»Das ist Julia«, sagte er. Su Ling sah zu einer eleganten Frau auf, die fast so groß war wie Tom und beinahe so dünn wie Su Ling, auch wenn ihre blonden Haare und die blauen Augen auf einen Stammbaum
Weitere Kostenlose Bücher