Archer Jeffrey
Angeklagte auch«, entgegnete Nat. »Seien wir ehrlich, die Wahl findet erst in neun Monaten statt. Falls ich sein Gegner werde, dann weiß er wenigstens jederzeit, wo ich bin.«
»Aber …«, fing Jimmy nochmals an.
»Richten Sie Fletcher Davenport aus, wenn ich der republikanische Kandidat werde, ist er meine erste Wahl. Und wenden Sie sich an keinen der anderen, solange er nicht abgelehnt hat, denn wenn alles stimmt, was ich von diesem Mann gehört habe, wird er mich ganz bestimmt vertreten wollen.«
»Wenn das Ihre Anweisungen sind, Mr Cartwright?«
»Das sind meine Anweisungen, Herr Anwalt.«
*
Als die Wahllokale um 20 Uhr schlossen, schlief Nat tief und fest in Toms Wagen. Sein Stabschef fuhr ihn nach Hause und machte keinen Versuch, ihn zu wecken. Als Nächstes bekam Nat mit, wie er im Bett neben Su Ling aufwachte. Sein erster Gedanke galt Luke. Su Ling sah ihn an und nahm seine Hand. »Nein«, flüsterte sie.
»Wie meinst du das? Nein?«, fragte Nat.
»Ich sehe es in deinen Augen, Liebling. Du fragst dich, ob du meinetwegen die Kandidatur zurückziehen sollst, damit wir um
Luke trauern können, wie es sich gehört. Aber meine Antwort lautet nein.«
»Wir müssen die Beerdigung organisieren und die Vorbereitungen für den Gerichtsprozess, ganz zu schweigen von dem Prozess selbst.«
»Und ganz zu schweigen von den endlosen Stunden dazwischen, in denen du ins Grübeln geraten wirst und man es kaum noch mit dir wird aushalten können. Trotzdem lautet meine Antwort Nein.«
»Es ist doch so gut wie unmöglich, dass die Geschworenen den Worten einer trauernden Witwe keinen Glauben schenken, die behauptet, Augenzeugin des Mordes an ihrem Ehemann geworden zu sein.«
»Natürlich war sie Augenzeugin«, erklärte Su Ling. »Sie hat es ja getan.«
Das Telefon auf Su Lings Nachttisch läutete. Sie nahm den Hörer ab und lauschte aufmerksam, bevor sie zwei Zahlen auf dem Notizblock neben dem Telefon notierte. »Danke«, sagte sie. »Ich richte es ihm aus.«
Su Ling riss das oberste Blatt vom Notizblock und reichte es ihrem Mann. »Das war Tom. Er wollte dir das Wahlergebnis mitteilen.« Es standen nur zwei Zahlen auf dem Blatt: 69: 31.
»Ja und? Wer hat 69?«, fragte Nat.
»Der nächste Gouverneur von Connecticut«, erwiderte sie.
* Auf Bitten des Direktors fand die Trauerfeier für Luke in der Kapelle von Taft statt. Mr Henderson erklärte es damit, dass so viele Schüler daran teilnehmen wollten. Erst nach Lukes Tod merkten Nat und Su Ling, wie beliebt ihr Sohn gewesen war. Die Trauerfeier war schlicht und der Chor, dessen stolzes Mitglied er gewesen war, sang William Blakes Jerusalem und Cole Porters Ain’t Misbehavin’. Kathy las eine Bibelstelle und der gute, alte Thomo eine weitere. Der Direktor hielt die Trauerrede.
Mr Henderson sprach von einem schüchternen, bescheidenen Jugendlichen, den alle mochten und bewunderten. Er erinnerte die Anwesenden an Lukes herausragende Darstellung des Romeo. Erst an diesem Morgen hatte er erfahren, dass Luke einen Studienplatz in Princeton hätte bekommen sollen.
Nach der Trauerfeier nahmen Nat und Su Ling an einer Teeparty teil, die für Lukes engste Freunde im Haus des Direktors veranstaltet wurde. Der Schulsprecher überreichte Su Ling ein Fotoalbum mit Fotos und kurzen Aufsätzen von Lukes Mitschülern. Wann immer Nat später einen deprimierten Moment hatte, nahm er sich eine Seite aus diesem Album vor, las den Eintrag und sah das Foto an.
Als sie das Haus des Direktors verließen, entdeckte Nat Kathy, die mit gesenktem Kopf allein im Garten saß. Su Ling ging zu ihr, setzte sich neben sie, legte einen Arm um Kathy und versuchte, sie zu trösten. »Er hat dich sehr geliebt«, sagte Su Ling.
Kathy hob den Kopf. Tränen strömten über ihre Wangen. »Ich habe ihm nie gesagt, wie sehr ich ihn liebte.«
45
»DAS KANN ICH NICHT TUN«, sagte Fletcher.
»Warum nicht?«, fragte Annie.
»Da fallen mir auf Anhieb hundert Gründe ein.«
»Sind das nicht eher hundert Ausreden?«
»Ich soll den Mann verteidigen, den ich besiegen will?«,
erwiderte Fletcher, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen. »Ohne Furcht und Tadel«, erklärte Annie.
»Und wie soll ich dann meinen Wahlkampf führen?« »Das wird der leichtere Teil sein«, meinte Annie. »So oder
so.«
»So oder so?«, wiederholte Fletcher.
»Ja. Wenn er schuldig ist, wird er nicht zum Kandidaten der Republikaner.«
»Und wenn er unschuldig ist?«
»Dann wird man dich in höchsten Tönen loben, weil du
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