Archer Jeffrey
Uhr auf, duschte kalt – das Wort Heizung gab es in der Armeesprache schlicht und einfach nicht –, zog sich an, frühstückte und legte seine Sachen ordentlich ans Fußende des Bettes, bevor er um sechs Uhr zusammen mit allen anderen Angehörigen des zweiten Zuges aus der Alpha-Kompanie auf dem Paradeplatz antrat.
Der Erste, der ihn Morgen für Morgen ansprach, war Drill Sergeant Al Quamo, der stets so adrett aussah, dass Nat vermutete, er stehe um vier Uhr früh auf, um seine Uniform zu bügeln. Falls Nat versuchte, während der nächsten vierzehn Stunden mit jemand anderem zu reden, wollte Quamo wissen, mit wem und warum. Der Drill Sergeant war genauso groß wie Nat, aber da endete ihre Ähnlichkeit auch schon. Nat stand nie lange genug still, um alle Orden des Sergeants zählen zu können. »Ich bin Ihre Mutter, Ihr Vater und Ihr bester Freund«, bellte Quamo aus voller Kehle.
»Haben Sie verstanden?«
»Ja, Sir«, brüllten die sechsunddreißig frisch gebackenen Rekruten des zweiten Zuges zurück. »Sie sind unsere Mutter, unser Vater und unser bester Freund.«
Die meisten aus dem Zug hatte eine Freistellung beantragt und waren abgewiesen worden. Viele hielten Nat für verrückt, weil er der Einberufung bereitwillig nachgekommen war, und es dauerte einige Wochen, bevor sie ihre Meinung über den Jungen aus Cromwell änderten. Lange vor dem Ende der Grundausbildung war Nat zum Berater des ganzen Zuges geworden, zum Briefschreiber, Lebenshelfer und Vertrauten. Er hatte sogar einigen der Rekruten das Lesen beigebracht. Nat schrieb seiner Mutter besser nicht, was ihm die anderen im Gegenzug beigebracht hatten. Nach der Hälfte der Grundausbildung ernannte Quamo ihn zum Führer seiner Gruppe.
Am Ende der zwei Monate war Nat in allem der Beste, bei dem es um Buchstaben ging. Er überraschte seine Mitrekruten sogar dadurch, dass er sie beim Querfeldeinlauf schlug, und obwohl er vor der Grundausbildung noch nie eine Waffe abgefeuert hatte, schoss er sogar besser als die Jungs aus Queens, wenn es darum ging, das M60 Maschinengewehr oder den M70 Granatwerfer zu bedienen. Sie kannten sich einfach mit kleineren Waffen besser aus.
Quamo brauchte keine sechs Wochen, um seine Meinung bezüglich Nats Chancen für die Kadettenschule zu ändern. Anders als die meisten anderen ›armen Schweine‹, die nach ›Nam‹ geschickt wurden, war Nat der geborene Anführer.
»Aber Vorsicht«, warnte Quamo Nat, »einem wachsweichen Lieutenant ballern sie den Hintern ebenso weg wie einem stinknormalen Soldaten, das steht schon mal fest. Der Vietcong macht da keinen Unterschied.« Sergeant Quamo sollte Recht behalten, denn nur zwei Rekruten wurden für Fort Benning ausgewählt. Der andere war ein Collegejunge aus dem dritten Zug namens Dick Tyler.
*
In den ersten drei Wochen in Fort Benning fand die wichtigste Aktivität im Freien unter Anleitung der Black Hats statt. Die Fallschirmlehrer brachten ihren neuen Rekruten das Landen bei, zuerst von einer dreieinhalb Meter hohen Wand, anschließend von dem gefürchteten dreißig Meter hohen Turm. Von den zweihundert Soldaten, die den Kurs antraten, schafften es weniger als einhundert in die nächste Phase. Nat gehörte zu den zehn, die während des ersten Sprunges einen weißen Helm tragen durften. Fünfzehn Sprünge später durfte er sich das silberne Sprungabzeichen an die Brust heften.
Als Nat einen einwöchigen Heimaturlaub antreten durfte, erkannte seine Mutter das Kind, das sie vor drei Monaten verlassen hatte, kaum wieder. Es war nun ein Mann geworden, fast drei Zentimeter größer und drei Kilo leichter, mit einem Kurzhaarschnitt, der seinen Vater an dessen Tage in Italien erinnerte.
Nat kehrte nach dieser kurzen Pause nach Fort Benning zurück, hängte seine auf Hochglanz polierten Springerstiefel an den Nagel, warf sich seinen Kleidersack über die Schulter und marschierte das kurze Stück von der Luft zum Boden auf die andere Straßenseite.
Hier begann seine Ausbildung als Infanterieoffizier. Obwohl er immer noch jeden Morgen so früh aufstand, verbrachte er nun weit mehr Zeit im Klassenzimmer, studierte Militärgeschichte, Kartenlesen, Taktik und Kommandostrategie – zusammen mit siebzig weiteren Offiziersanwärtern, die sich ebenfalls darauf vorbereiteten, nach Vietnam geschickt zu werden. Die einzige Statistik, über die niemand reden wollte, besagte, dass über fünfzig Prozent von ihnen höchstwahrscheinlich im Leichensack nach Hause zurückkehren würden.
*
»Joanna
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