Archer Jeffrey
ein Leuteschinder, dann warten Sie
ab, bis Sie Jacques, unseren chef de maître cuisine
kennenlernen. Der gibt Ihnen keine Ohrfeige, sondern schneidet
Ihnen das Ohr gleich komplett ab.«
Mark machte sich nichts daraus. Er war überzeugt, er würde
während der restlichen zehn Wochen mit allem fertigwerden,
und um halb sechs am folgenden Morgen vertauschte er seine
dunkelblaue Uniform mit einer weißen Mütze und blauweißkarierten Hosen, ehe er sich zu seinem neuen Dienst meldete. Zu
seiner Überraschung nahm die Küche fast das ganze
Kellergeschoß des Hotels ein, und in ihr herrschte noch mehr
Geschäftigkeit, als dies im Foyer der Fall gewesen war. Der Sous-Chef wies ihm einen Platz in der Ecke der Küche zu,
neben einem Berg von Kartoffeln, einer Schüssel mit kaltem
Wasser und einem scharfen Messer. Mark schälte Frühstück,
Mittag- und Abendessen hindurch und schlief an diesem Abend
ein, ohne vorher einen Tag in seinem Kalender auszukreuzen. Während der ersten Woche bekam er den sagenumwobenen
Jacques nie wirklich zu Gesicht. Angesichts der Zahl von siebzig Leuten, die unten in den Küchen arbeiteten, war er überzeugt, seine Zeit dort absitzen zu können, ohne daß irgend
jemand ihn zur Kenntnis nähme.
Jeden Morgen um sechs begann er mit dem Schälen und
übergab dann die Kartoffeln einem schlaksigen Jungen namens
Terry, der sie anschließend – je nach den Instruktionen des
Sous-Chefs für das Gericht des Tages – entweder in Würfel oder
in kleine Scheiben schnitt. Montags wurde sautiert, dienstags
püriert, mittwochs fritiert, donnerstags in Scheiben geschnitten,
freitags geröstet, und samstags gab es Kroketten … Mark hatte
schnell den Vorteil beim Schälen raus, so daß er immer einen
ordentlichen Vorsprung vor Terry hatte und so keinen Ärger
bekommen konnte.
Nachdem Mark Terry mehr als eine Woche lang bei seiner
Arbeit zugesehen hatte, war er davon überzeugt, daß er dem
jungen Lehrling zeigen könnte, wie seine Arbeitslast auf ganz
einfache Weise zu verringern wäre, aber er beschloß, den Mund
zu halten. Den Mund aufzumachen mochte ihm nur noch mehr
Unannehmlichkeiten einbringen, und eine zweite Chance,
dessen war er sich sicher, würde der Direktor ihm nicht geben. Bald fand Mark heraus, daß Terry immer weit zurückblieb,
wenn Montags Sheperd’s Pie und Donnerstags LancashireEintopf zubereitet wurde. Von Zeit zu Zeit kam der Sous-Chef
vorbei, um ihn anzutreiben, und dabei schaute er immer zu Mark
hinüber, um sich zu vergewissern, daß nicht vielleicht er es war,
der die Dinge aufhielt. Mark sorgte dafür, daß er stets einen
Ersatzkübel mit geschälten Kartoffeln neben sich stehen hatte,
damit ihm jeder Vorwurf erspart bliebe.
Es war am Morgen des ersten Donnerstags im August
(Lancashire-Eintopf), als Terry sich versehentlich die Spitze
seines Zeigefingers abschnitt. Blut spritzte nach allen
Richtungen, auf die Kartoffelscheiben, auf den hölzernen Tisch,
während der Junge hysterisch zu schreien begann.
»Bringt ihn raus!« hörte Mark den chef de maître cuisine über
den Lärm in der Küche hinwegbrüllen, während er auf sie
zustürmte.
»Und du«, sagte er und zeigte dabei auf Mark, »machst
Schweinerei sauber und schneidest Rest von Kartoffeln. Ich ’abe
acht’undert ´ngrige Gäste, die noch auf Essen warten.« »Ich?« sagte Mark ungläubig. »Aber –«
»Ja, du. Du könntest Arbeit kaum schlechter machen als Idiot,
der will Kochlehrling sein und Finger abschneidet.« Der
Chefkoch marschierte davon, und Mark mußte notgedrungen zu
dem Tisch hinübergehen, an dem Terry gearbeitet hatte.
Angesichts der Tatsache, daß der Kalender ihn daran erinnerte,
daß ihm nur noch fünfundzwanzig Tage blieben, hatte er keine
Lust zu protestieren.
Mark machte sich an die Arbeit, die er schon so oft für seine
Mutter verrichtet hatte. Die sauberen, exakten Schnitte wurden
von ihm mit einer Geschicklichkeit ausgeführt, zu der Terry es
nie gebracht haben würde. Am Ende des Tages war er zwar
erschöpft, fühlte sich jedoch längst nicht so müde wie in der
Vergangenheit.
An jenem Abend warf der chef de maítre cuisine um elf Uhr
seine Mütze hin und stürmte durch die Schwingtür hinaus; ein
Zeichen für alle anderen, daß auch sie die Küche verlassen
konnten, sobald in den Bereichen, für die sie verantwortlich
waren, alles aufgeräumt war. Wenige Sekunden darauf schwang
die Tür wieder auf, und der Chefkoch platzte herein. Er starrte in
der Küche umher, und alle warteten, was er als
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