Archer Jeffrey
daß es
der 31. August war – sein letzter Tag. Er schnitt zehn Zitronen
in Viertel und beendete die Vorbereitung von vierzig Tellern mit
dünngeschnittenem Räucherlachs, womit der erste Gang eines
Hochzeitlunchs gekrönt werden sollte. Voller Stolz betrachtete
er das Resultat seiner Anstrengung, faltete seine Schürze
zusammen und ging, um seine Papiere und seine letzte Lohntüte
abzuholen.
»Wo willst du hin?« fragte der Küchenchef und sah auf. »Ich gehe jetzt«, sagte Mark. »Zurück nach Coventry.« »Ich seh’ dich also Montag. Du ’ast freien Tag verdient.« »Nein, ich geh’ nach Hause, für immer«, entgegnete Mark. Der Küchenchef hörte auf, das halbrohe Rindfleisch zu
begutachten, aus dem der zweite Gang des Hochzeitsessens
bestehen sollte.
»Gehen?« wiederholte er, als verstünde er dieses Wort nicht. »Ja. Ich habe mein Jahr beendet, und jetzt geht’s nach Hause,
zum Arbeiten.«
»’offentlich du ’ast gefunden Erste-Klasse-’otel«, sagte der
Küchenchef mit echtem Interesse.
»Ich werde nicht in einem Hotel arbeiten.«
»In Restaurant, vielleicht?«
»Nein, ich kriege einen Job bei Triumph.«
Der Küchenchef schaute für einen Moment verdutzt drein.
Spielte ihm sein Englisch einen Streich, oder machte der Junge
sich über ihn lustig?
»Was ist – Triumph?«
»Ein Ort, wo sie Autos herstellen.«
»Du wirst Autos ’erstellen?«
»Nicht ein ganzes Auto, aber ich werde die Räder daran
montieren.«
»Du montierst Autos an Räder?« sagte der Küchenchef
ungläubig.
»Nein«, lachte Mark. »Räder an Autos.«
Der Küchenchef schien sich immer noch nicht ganz sicher zu
sein.
»Dann du wirst also kochen für die Autoarbeiter?«
»Nein. Wie ich schon sagte, ich werde die Räder an den Autos
festmachen«, sagte Mark langsam und sprach dabei jedes Wort
deutlich aus.
»Das ist nicht möglich.«
»Oh doch, das ist es«, antwortete Mark. »Und ich habe ein
ganzes Jahr darauf gewartet, es zu beweisen.«
»Wenn ich dir Job als commis chef anbiete, du änderst
Meinung?« fragte der Chefkoch ruhig.
»Warum sollten Sie das tun?«
»Weil du ’ast Talent in diese Finger. Ich denke, bald du wirst
Chef sein, vielleicht sogar guter Chef.«
»Nein, danke. Ich geh’ nach Coventry zu meinen Kumpels.« Der Chefkoch zuckte die Achseln. » Tant pis « , sagte er, und
kehrte, ohne noch einmal aufzusehen, zu dem Rindfleisch
zurück. Er warf einen Blick auf die Teller mit dem
Räucherlachs. »Ein vergeudetes Talent«, fügte er hinzu,
nachdem die Schwingtür hinter seinem potentiellen Schützling
zugefallen war.
Mark schloß sein Zimmer ab, warf den Kalender in den
Papierkorb und ging zur Hotelverwaltung, um beim Hausmeister
seine Küchenkluft abzugeben. Seine letzte Handlung war, dem
stellvertretenden Direktor seinen Zimmerschlüssel
auszuhändigen.
»Ihre Lohntüte, Ihre Unterlagen und Ihre Lohnsteuerkarte. Oh,
übrigens hat der Chefkoch angerufen und läßt Ihnen sagen, er
würde Ihnen gerne ein Zeugnis ausstellen«, sagte der
stellvertretende Direktor. »Ich muß zugeben, das passiert nicht
alle Tage.«
»Werde ich nicht brauchen, da, wo ich hingehe«, sagte Mark. »Aber trotzdem vielen Dank.«
In zügigem Tempo machte er sich auf zum Bahnhof, und an
seiner Seite baumelte ein kleiner, abgewetzter Koffer. Bald
mußte er jedoch feststellen, daß er mit jedem Schritt langsamer
vorankam. Als er Euston Station erreichte, ging er zu Bahnsteig
7 und begann dort auf und ab zu wandern, wobei er gelegentlich
auf die große Uhr über der Schalterhalle starrte. Er sah zu, wie
erst ein Zug, und dann ein zweiter, beide nach Coventry, den
Bahnhof verließ. Er merkte, wie langsam Schatten durch das
Glasdach der Bahnhofshalle fielen und es im Bahnhof dunkel
wurde. Plötzlich machte er kehrt und ging mit weit schnelleren
Schritten davon. Wenn er sich beeilte, würde er gerade noch
rechtzeitig zurück sein, um dem Küchenchef bei den
Vorbereitungen für das Abendessen zu helfen.
Mark absolvierte eine fünfjährige Lehrzeit bei Jacques le Renneu. Auf das Gemüse folgten die Saucen, auf Fisch das Geflügel, auf Fleischgerichte das Feingebäck. Nach acht Jahren im »Savoy« ernannte man ihn zum zweiten Chef, und von seinem Mentor hatte er so viel gelernt, daß Stammkunden nie mit Sicherheit zu sagen wußten, wann der chef de maître cuisine seinen freien Tag hatte. Zwei Jahre später wurde Mark Meisterkoch, und als Jacques 1971 das Angebot erhielt, nach Paris zurückzukehren und im »George Cinq« Küchenchef zu werden, willigte
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