Archer Jeffrey
Tonchan eine Erfahrung dar, auf die er schwerlich vorbereitet gewesen sein konnte. Dieses schwerbewachte Kriegsgefangenenlager, das ungefähr dreihundert Meilen nördlich von Singapur im tiefsten äquatorialen Dschungel versteckt lag, bot nicht die geringste Möglichkeit zur Flucht. Die an Flucht dachten, durften nicht hoffen, länger als ein paar Tage im Dschungel zu überleben, und diejenigen, die sich zum Ausharren entschlossen hatten, mußten entdecken, daß ihre Überlebenschancen nicht viel größer waren.
Major Sakata, der Lagerkommandant, teilte dem soeben eingetroffenen Oberst mit, er werde ihn, da er der rangälteste Offizier sei, persönlich für das Wohlergehen sämtlicher alliierten Truppenangehörigen verantwortlich machen.
Oberst Moore starrte auf den japanischen Offizier hinunter. Sakata war sicher einen Fuß kleiner als er selbst, aber nach dem achtundzwanzigtägigen Marsch wog der Brite nicht viel mehr als der kleinwüchsige Major.
Nachdem er das Büro des Kommandanten verlassen hatte, rief Moore als erstes alle alliierten Offiziere zu sich. Er stellte fest, daß es im Lager in ziemlich gleicher Verteilung Soldaten aus England, Australien, Neuseeland und Amerika gab, von denen nur die wenigsten als fit bezeichnet werden konnten. Täglich starben Männer an Malaria, Ruhr und Unterernährung. Mit einem Mal wurde ihm die Bedeutung der Redensart »wie die Fliegen sterben« klar.
Der Oberst erfuhr von seinen Stabsoffizieren, daß man ihnen während der vorangegangenen zwei Jahre, seitdem es das Lager gab, befohlen hatte, Bambushütten für die japanischen Offiziere zu bauen. Erst nachdem diese fertiggestellt waren, hatte man ihnen erlaubt, eine Krankenstation für die eigenen Männer und, erst kürzlich, auch Hütten für sich selbst zu errichten. Viele Gefangene waren während dieser zwei Jahre gestorben, und zwar nicht an Krankheiten, sondern an den Grausamkeiten, die einige der Japaner alltäglich an ihnen verübten. Major Sakata, der wegen seiner dünnen Arme »Eßstäbchen« genannt wurde, war jedoch nicht so ein Schurke. Sein Stellvertreter, Leutnant Takasaki ( »der Totengräber« ) und Feldwebel Ayut ( »das Schwein« ) seien da aus ganz anderem Holz geschnitzt, und man müsse ihnen um jeden Preis aus dem Weg gehen, warnten ihn seine Männer.
Der Oberst brauchte nur wenige Tage, um das selbst herauszufinden.
Er entschied, seine erste Aufgabe sei es, die auf den Tiefpunkt gesunkene Moral seiner Soldaten wiederaufzurichten. Da es unter den gefangengenommenen Offizieren keinen Geistlichen gab, fing er jeden Tag mit einem kurzen Gebetsgottesdienst an. Nach dem Gottesdienst begannen die Männer mit der Arbeit an der Bahnlinie, die entlang des Lagers verlief. Die mühevolle Arbeit bestand im Verlegen von Gleisen, um den japanischen Soldaten dazu zu verhelfen, schneller an die Front zu gelangen, damit sie dort noch mehr Soldaten der Alliierten töten oder gefangennehmen konnten. Jeder Häftling, der im Verdacht stand, diese Arbeit zu untergraben, wurde der Sabotage beschuldigt und ohne Gerichtsverhandlung exekutiert. In Leutnant Takasakis Augen war es bereits Sabotage, eine unerlaubte fünfminütige Pause einzulegen.
Zu Mittag erlaubte man den Gefangenen eine Unterbrechung von zwanzig Minuten, in der sie jeweils eine Schale Reis – gewöhnlich mit Maden darin – und, wenn sie Glück hatten, einen Becher Wasser bekamen. Obwohl die Männer jeden Abend erschöpft ins Lager zurückkehrten, machte sich der Oberst dennoch daran, Trupps aufzustellen, die für die Sauberkeit der Hütten und den Zustand des Lagers verantwortlich waren.
Nach nur wenigen Monaten gelang es dem Oberst, ein Fußballspiel zwischen den Briten und Amerikanern zu organisieren, und als dieses ein Erfolg wurde, stellte er sogar eine Lagerliga auf. Noch erfreuter war er jedoch, als die Männer zum Karate-Unterricht bei Feldwebel Hawke erschienen, einem untersetzten Australier, der den Schwarzen Gürtel besaß und darüber hinaus auch noch Mundharmonika spielte. Das kleine Instrument hatte den Marsch durch den Dschungel überstanden, aber jedermann rechnete damit, daß es über kurz oder lang entdeckt und konfisziert werden würde.
Jeder Tag bestärkte Moore in seiner Entschlossenheit, den Japanern nicht zu gestatten, auch nur für einen Augenblick zu glauben, die Alliierten seien geschlagen – ungeachtet der Tatsache, daß er während seiner Zeit in Tonchan weitere zwanzig Pfund an Gewicht verloren und ansonsten täglich mindestens einen
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