Archer Jeffrey
wie möglich zum Britischen Hauptquartier in der Stadtmitte zu bringen. Wegen der dichten Menschenmenge, die sich Tag und Nacht auf den Straßen drängte, brauchten sie für die kurze Strecke eine ganze Weile. Sobald er in seinem Büro angekommen war, bat der Oberst seine Sekretärin, eine Telefonverbindung mit England herzustellen. Während sie seine Anordnung befolgte, ging Moore zu seinem grünen Schrank und durchblätterte mehrere Ordner, bis er den gefunden hatte, auf dem »Persönlich« stand. Er öffnete ihn und fischte den Brief heraus. Er wollte sichergehen, daß er den Wortlaut des Satzes richtig im Gedächtnis hatte … »Falls Sie aus irgendeinem Grunde bei Ihren Beratungen meine Hilfe brauchen, zögern Sie nicht, mit mir persönlich Verbindung aufzunehmen.«
»Er kommt jetzt an den Apparat, Sir«, sagte die Sekretärin aufgeregt. Der Oberst ging hinüber zum Telefon und wartete. Er ertappte sich dabei, wie er strammstand, als er die Stimme hörte, die ihn fragte: »Sind Sie es, Oberst?« Richard Moore benötigte weniger als zehn Minuten, um das Problem, dem er sich gegenübersah, zu erläutern und die Vollmacht, die er brauchte, zu erhalten.
Sofort nach Beendigung des Gesprächs kehrte er zum Hauptquartier des Kriegsgerichts zurück. Er marschierte auf direktem Wege zurück in den Sitzungssaal, gerade als General Tomkins sich auf seinem Stuhl niederlassen wollte, um mit der Nachmittagsverhandlung zu beginnen.
Der Oberst war der erste, der sich von seinem Platz erhob, als der General die Sitzung des Tribunals eröffnete.
»Ich bitte um die Erlaubnis, zu Anfang eine Erklärung abgeben zu dürfen«, ersuchte er den Vorsitzenden.
»Ganz wie Sie wünschen«, sagte Tomkins. »Aber machen Sie’s kurz. Wir haben uns noch mit einer ganzen Menge mehr von diesen Japsen zu befassen.«
Oberst Moore ließ seinen Blick von einem zum anderen der um den Tisch herum sitzenden elf Männer wandern.
»Meine Herren«, begann er, »ich trete hiermit von meinem Amt als britischer Beauftragter dieser Kommission zurück.«
General Tomkins konnte ein Lächeln nicht unterdrücken.
»Ich tue das ungern«, fuhr der Oberst fort, »jedoch mit dem vollen Einverständnis meines Premierministers, mit dem ich vor nur wenigen Augenblicken telefonisch gesprochen habe.« Auf diese Information hin wich das Lächeln auf Tomkins’ Gesicht einem Stirnrunzeln. »Ich werde nach England zurückkehren und dort Mr. Attlee und dem britischen Kabinett einen vollständigen Bericht darüber vorlegen, in welcher Weise dieses Tribunal geführt worden ist.«
»Jetzt hören Sie mal zu, Söhnchen«, begann der General, »Sie können doch nicht –«
»Doch, Sir, ich kann. Und ich werde. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich nicht gewillt, für den Rest meines Lebens an meinen Händen das Blut unschuldiger Soldaten kleben zu lassen.«
»Jetzt hören Sie mal zu, Söhnchen«, wiederholte der General.
»Lassen Sie uns wenigstens erst einmal darüber reden, bevor Sie etwas tun, was Sie vielleicht später bereuen.«
An jenem Tag wurde keine Pause mehr eingelegt, und bis zum späten Nachmittag waren die Urteile für Major Sakata, Feldwebel Akida und den Korporal Sushi in lebenslange Gefängnisstrafen umgewandelt.
Innerhalb eines Monats wurde General Tomkins vom Pentagon zurückbeordert und durch einen distinguierten amerikanischen Marineoffizier ersetzt, der für seinen Einsatz im Ersten Weltkrieg ausgezeichnet worden war.
In den Wochen, die auf diese neue Berufung folgten, wurden die Todesurteile von zweihundertneunundzwanzig japanischen Kriegsgefangenen in ähnlicher Weise abgeändert.
Oberst Moore, der von der Realität des Krieges und der Heuchelei des Friedens genug hatte, kehrte am 11. November 1948 nach Lincolnshire zurück.
Nahezu zwei Jahre später empfing Richard Moore die heiligen Weihen und wurde Gemeindepfarrer in dem verschlafenen Dörfchen Weddlebeach in Suffolk. Seine Berufung dorthin machte ihm Freude, und obwohl er seinen Pfarrkindern gegenüber selten von seinen Kriegserlebnissen sprach, dachte er oft an die Zeit, die er in Japan verbracht hatte.
»Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden …« begann der Pfarrer eines Morgens in den frühen Sechzigern von der Kanzel seine Palmsonntagspredigt, doch es gelang ihm nicht, seinen Satz zu beenden.
Die Mitglieder seiner Gemeinde schauten zu ihm hinauf, konnten jedoch nur entdecken, daß auf seinem Gesicht ein breites Lächeln spielte, während er seinen Blick auf jemand richtete, der in der dritten
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