Archer Jeffrey
die sich auf das Vollendetste verjüngenden Beine zu enthüllen. Als meine Augen weiter an ihr emporglitten, machten sie halt bei ihrer schmalen Taille und ihrer schlanken athletischen Figur. Was mich jedoch am meisten fesselte, war ihr ovales Gesicht mit diesen leicht aufgeworfenen Lippen und den größten blauen Augen, die ich je gesehen hatte. Gekrönt wurde alles von einem dichten, schwarzen, kurzgeschnittenen Haarschopf, der buchstäblich wie ein Spiegel glänzte. Ihr Auftritt war um so atemberaubender wegen der Szenerie, die sie für ihn gewählt hatte. Köpfe hätten sich bei einem Diplomatenempfang, einer Cocktailparty der feinen Gesellschaft, ja sogar einem Wohltätigkeitsball gedreht, aber bei einem Schachturnier …
Ich verfolgte jede ihrer Bewegungen, und ein herablassendes Gefühl erlaubte mir nicht, anzunehmen, sie könnte eine Schachspielerin sein. Sie ging langsam zu dem Tisch hinüber, an dem der Klubsekretär saß, und trug sich in die Teilnehmerliste ein, womit sie bewies, daß ich im Irrtum war. Sie erhielt eine Nummer, die anzeigte, wer in der ersten Runde ihr Gegner sein würde. Alle, denen noch kein Gegner zugewiesen worden war, warteten jetzt, ob sie auf der gegenüberliegenden Seite ihres Bretts Platz nehmen würde.
Die Spielerin prüfte die Nummer, die sie bekommen hatte, und ging auf einen älteren Mann zu, der in der entferntesten Ecke des Raumes saß. Einst war er Vorsitzender des Klubs gewesen, hatte aber nun seine beste Zeit hinter sich.
Als neuer Vorsitzender hatte ich diese Wettkämpfe, bei denen gezogen wurde, wer gegen wen spielte, zu organisieren gehabt. Wir treffen uns an jedem letzten Freitag des Monats in einem klubähnlichen Raum über dem »Mason’s Arms« in der High Street. Der Wirt sorgt dafür, daß uns dreißig Tische sowie Essen und Getränke bereitgestellt werden. Drei oder vier Klubs aus der Umgegend schicken uns ein halbes Dutzend Gegner, gegen die wir einige Partien Blitzschach spielen, was uns die Chance bietet, Gegner zu kriegen, gegen die wir normalerweise nicht spielen würden. Die Regeln sind ziemlich einfach – für jeden Zug ist eine Höchstzeit von einer Minute auf der Schachuhr erlaubt, daher dauert eine Partie selten länger als eine Stunde, und wenn nach dreißig Zügen noch immer keine Entscheidung gefallen ist, wird die Partie automatisch remis gegeben. Zwischen den Partien gibt es nur eine kurze Pause für einen Drink, den der Verlierer zu zahlen hat, so daß jedermann die Chance hat, an einem Abend gegen zwei Gegner anzutreten.
Ein dünner Mann mit halbmondförmiger Brille und dunkelblauem dreiteiligen Anzug kam zu meinem Brett herüber. Wir tauschten ein Lächeln und gaben einander die Hand. Ich hätte auf einen Rechtsanwalt getippt, lag da aber falsch, denn er entpuppte sich als Buchhalter, der bei einer Lieferfirma für Papierwaren in Woking arbeitete.
Es fiel mir schwer, mich auf die gut aufgebaute Moskauer Eröffnung meines Gegners zu konzentrieren, da meine Blicke immer wieder vom Brett weg und hinüber zu dem Mädchen in dem schwarzen Kleid wanderten. Bei dem einzigen Mal, wo unsere Augen einander tatsächlich trafen, schenkte sie mir ein undurchdringliches Lächeln, und obwohl ich es erneut versuchte, gelang es mir nicht, ihr dieselbe Reaktion noch ein zweites Mal zu entlocken. Obgleich ich in Gedanken ganz woanders war, schaffte ich es dennoch, den Buchhalter zu besiegen, der nicht zu wissen schien, daß es verschiedene Gegenspiele bei einer Sieben-Bauern-Attacke gibt.
In der Halbzeitpause hatten ihr drei andere Mitglieder des Klubs bereits einen Drink spendiert, noch bevor ich überhaupt die Bar erreichte. Mir war klar, daß ich nicht darauf hoffen durfte, meine zweite Partie gegen das Mädchen spielen zu können, da man von mir erwartete, daß ich einen der Vorsitzenden der Gastmannschaften herausforderte. Sie spielte schließlich gegen den Buchhalter.
Ich besiegte meinen neuen Gegner in etwas mehr als vierzig Minuten, und als fürsorglicher Gastgeber begann ich daraufhin, Interesse an den Partien zu zeigen, die noch im Gange waren. Ich machte mich auf zu einer Route, die mich auf Umwegen schließlich an ihren Tisch führte. Ich sah sofort, daß der Buchhalter schon in klarer Gewinnstellung war, und wenige Augenblicke nach meiner Ankunft verlor sie nicht nur ihre Dame, sondern auch die Partie.
Ich stellte mich vor und machte die Entdeckung, daß allein das Schütteln ihrer Hand ein erotisches Erlebnis war. Uns zwischen den Tischen
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