Archer Jeffrey
der Schatulle lag ein Päckchen, das die Form eines Bildes hatte, etwa fünfundvierzig mal dreißig Zentimeter groß, in Musselin gewickelt und fest verschnürt. Rosenbaum verstaute das Päckchen sorgfältig in seinem alten Koffer. Hierauf schloß er die Kassette und versperrte sie. Schließlich drückte er auf den Knopf unter dem Tisch und innerhalb von Sekunden betraten Herr Daumier und der Juniorpartner wieder das Zimmer.
»Ich hoffe, daß Sie alles so vorgefunden haben, wie Sie es zurückgelassen hatten, Herr Rosenbaum«, sagte der Präsident. »Es ist seither schließlich einige Zeit vergangen.«
»Ja, danke.« Diesmal brachte der alte Herr ein Nicken zustande.
»Darf ich vielleicht noch eine ganz nebensächliche Angelegenheit erwähnen?« fragte Herr Daumier.
»Ich bitte darum«, erwiderte der alte Mann.
»Beabsichtigen Sie, das Schließfach weiterhin zu benützen? Der Betrag, den Sie für die Begleichung der Depotgebühr hinterlegt haben, ist seit kurzem aufgebraucht.«
»Nein, ich werde es nicht mehr benötigen.«
»Es war nur eine kleine Summe offen. Aber in Anbetracht der Umstände verzichten wir gerne darauf.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen!«
Herr Daumier verneigte sich. Der Juniorpartner begleitete den Kunden zum Eingangstor, half ihm in ein Taxi und wies den Fahrer an, Herrn Rosenbaum zum Flughafen zu bringen.
Dort benötigte der alte Herr eine Weile, bis er den Abfertigungsschalter erreichte, da ihm die Rolltreppe nicht geheuer zu sein schien, und mit dem nunmehr ziemlich schweren Koffer vermochte er die vielen Stufen kaum zu bewältigen.
Am Schalter angekommen, kramte Rosenbaum sein Flugticket heraus und reichte es dem Mädchen zum Einchecken. Die Wartehalle, so stellte er erfreut fest, war ziemlich leer; er schlurfte quer durch die Lounge in eine Ecke, ließ sich auf eine bequeme Sitzbank fallen und vergewisserte sich, daß ihn die anderen Passagiere in der Halle nicht beobachten konnten.
So heftig er die kleinen Knöpfe des alten Koffers aber auch zur Seite drückte, es dauerte, bis die Verschlüsse aufschnappten. Er hob den Deckel, zog das Paket heraus und drückte es sich an die Brust. Ungeduldig nestelte er an den Knoten, bis sie sich endlich lockerten und er die Musselinhülle von seiner Beute streifen konnte, um sie zu begutachten.
Rosenbaum starrte das Meisterwerk an: »Die Kornfelder« von Vincent van Gogh, ein Gemälde, das – wovon er allerdings nichts wissen konnte – seit 1938 aus dem Wiener Kunsthistorischen Museum verschwunden war.
Emmanuel Rosenbaum begann wild drauflos zu fluchen – was gar nicht zu ihm paßte. Vorsichtig packte er das Bild wieder ein, legte es in den Koffer zurück und begab sich schleppenden Schrittes zum Swissair-Schalter, wo er die Hosteß bat, ihm einen Platz in der Maschine nach Genf zu buchen. Mit ein bißchen Glück konnte er Roget et Cie. noch vor Geschäftsschluß erreichen.
Die Viscount der BEA landete an diesem Vormittag mit einigen Minuten Verspätung um elf Uhr fünfundzwanzig Lokalzeit auf dem Genfer Flughafen. Die Stewardeß empfahl den Passagieren, ihre Uhren der mitteleuropäischen Zeit anzupassen und um eine Stunde vorzustellen.
»Großartig«, meinte Adam. »Da haben wir in Genf Zeit für ein gutes Mittagessen und für den Besuch in der Bank – und dann nichts wie zurück zum Flughafen, damit wir die Maschine nach London um fünf nach fünf erreichen.«
»Du ziehst das Ganze wie eine militärische Übung auf«, sagte Heidi lachend.
»Alles, außer den letzten Teil«, antwortete Adam.
»Den letzten Teil?«
»Unser Festessen am Abend.«
»Bestimmt wieder in der Chelsea Kitchen! «
»Ganz falsch! Ich habe einen Tisch für zwei bestellt, um acht Uhr im Coq d’Or, in der Nähe von Piccadilly.«
»Du verteilst wohl das Fell des Bären, bevor er erlegt ist«, sagte Heidi.
»Sehr witzig«, bemerkte Adam.
»Wieso witzig? Ich verstehe dich nicht.«
»Ich werde es dir heute abend anläßlich unseres Festmahles erklären.«
»Eigentlich hatte ich gehofft, daß wir es nicht an einem Tag schaffen …«
»Und warum?«
»Weil mich morgen doch wieder nur die Kasse im Deutschen Feinkostladen erwartet.«
»Das ist nur halb so schlimm wie mein Konditionstraining mit dem Sergeantmajor morgen um zehn«, stöhnte Adam. »Und um zehn nach zehn werde ich bereits flach auf dem Rücken liegen und bereuen, Genf jemals verlassen zu haben.«
»Dafür wirst du ihn früher oder später einmal k. o. schlagen können!« sagte Heidi. »Wer weiß, vielleicht sollten wir
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