Archer Jeffrey
Rosenbaum.«
»Haben Sie einen Termin vereinbart?« erkundigte sich das Mädchen.
»Ich fürchte, nein.«
»Herr Daumier befindet sich im Augenblick in einer Besprechung«, erwiderte das Mädchen, »aber ich werde nachfragen,
ob vielleicht einer seiner Partner verfügbar ist.« Nach einem Telefongespräch, das sie auf deutsch führte, sagte sie: »Würden Sie bitte mit dem Lift in den dritten Stock fahren?« Rosenbaum nickte mit deutlich sichtbaren Anzeichen von Widerwillen, kam aber der Aufforderung nach. Als er aus dem Fahrstuhl trat
– gerade noch rechtzeitig, bevor sich die Türen wieder vor ihm schlössen –, wartete bereits eine junge Dame auf ihn, um ihn in Empfang zu nehmen. Sie führte ihn in ein kleines Zimmer und fragte ihn, ob er so freundlich sein wolle, hier zu warten; es handelte sich um einen Raum, den er als Abstellkammer mit zwei Stühlen bezeichnet hätte. Es verging einige Zeit, bevor jemand kam, bei dessen Anblick Emmanuel Rosenbaum seine Überraschung über das Alter des jungen Mannes, der da auftauchte, nicht verbergen konnte.
»Ich bin Wilfried Präger«, stellte sich der junge Mann vor, »einer der Teilhaber dieser Bank.«
»Setzen Sie sich, bitte, setzen Sie sich«, erwiderte Rosenbaum.
»Ich kann nicht so lange zu Ihnen aufsehen.« Der junge Mann nahm auf dem zweiten Stuhl Platz. »Mein Name ist Emmanuel Rosenbaum. Ich habe 1938 ein Päckchen bei Ihnen deponiert und bin gekommen, um es abzuholen.«
»Selbstverständlich«, entgegnete der Juniorpartner, und sein Tonfall veränderte sich völlig. »Haben Sie irgendeinen Identitätsnachweis oder einen Beleg unserer Bank bei sich?«
»Gewiß«, antwortete der alte Mann und reichte ihm Paß sowie einen Depotschein, der schon so oft gefaltet und auseinandergefaltet worden war, daß er beinah nur mehr aus losen Teilen bestand.
Der junge Mann studierte beide Dokumente sorgfältig. Den israelischen Paß erkannte er sofort. Alles schien in Ordnung zu sein. Auch der Depotschein der Bank sah echt aus, wenngleich er im Geburtsjahr des Juniorpartners ausgestellt worden war.
»Darf ich Sie einen Augenblick allein lassen, Herr Rosenbaum?«
»Natürlich, ohne weiteres«, antwortete der alte Mann, »nach achtundzwanzig Jahren soll es mir auf ein paar Minuten nicht ankommen.«
Kurz nachdem der Juniorpartner den Raum verlassen hatte, erschien die junge Dame erneut und bat Rosenbaum in ein anderes Zimmer, welches größer und gemütlicher möbliert war. Innerhalb weniger Minuten kehrte der Juniorpartner zurück, zusammen mit einem Mann, den er als Herrn Daumier vorstellte.
»Ich glaube nicht, daß wir einander je begegnet sind, Herr Rosenbaum«, sagte der Bankpräsident höflich. »Sie hatten seinerzeit wohl mit meinem Vater zu tun.«
»Nein, nein«, erwiderte Rosenbaum. »Mit Ihrem Großvater, Helmut Daumier.«
Ein Ausdruck von Ehrfurcht spiegelte sich in Daumiers Augen.
»Ich traf Ihren Vater nur einmal, und es hat mir sehr leid getan, als ich von seinem frühen Tod erfuhr«, fügte Rosenbaum hinzu.
»Er war so aufmerksam! Sie tragen keine Rose im Knopfloch wie er …«
»Nein, Herr Rosenbaum! Das ist mein einziger, zaghafter Versuch einer Rebellion gegen das Establishment.«
Rosenbaum versuchte zu lachen, aber es wurde nur ein Husten daraus.
»Sie haben außer Ihrem Paß nicht vielleicht noch einen anderen Identitätsnachweis?« fragte Herr Daumier höflich.
Emmanuel Rosenbaum hob den Kopf und drehte mit müdem Blick die Innenseite seines Handgelenks nach oben. In die Hand war die Nummer 712 910 eintätowiert.
»Ich bedaure außerordentlich«, sagte Daumier sichtlich verlegen. »Ich benötige bloß ein paar Minuten, um Ihnen Ihre Kassette zu bringen. Wenn Sie bitte so freundlich wären, sich so lange zu gedulden …«
Rosenbaum blinzelte, als wäre er zu müde, um zustimmend zu nicken. Die beiden Männer ließen ihn allein. Wenige Minuten später kehrten sie mit einer flachen Kassette von etwa sechzig Zentimeter Seitenlänge zurück, die sie auf den Tisch in der Mitte des Zimmers stellten. Während der andere Teilhaber als Zeuge fungierte, sperrte Herr Daumier das obere Schloß auf. Dann überreichte er Rosenbaum einen Schlüssel und sagte: »Wir lassen Sie jetzt allein. Wenn Sie wünschen, daß wir wiederkommen, drücken Sie bitte einfach auf den Knopf unter dem Tisch.«
»Danke«, erwiderte Rosenbaum und wartete, bis sich die Tür hinter den beiden Männern geschlossen hatte. Dann drehte er den Schlüssel im Schloß und drückte den Deckel auf. In
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