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Archer Jeffrey

Archer Jeffrey

Titel: Archer Jeffrey Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ein Mann von Ehre
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bereits wieder frisch bezogen, aber der Engländer war noch in seinem Zimmer und schlief.
    »Wir müssen Ihre Anmeldescheine für die letzte Nacht überprüfen, Madame.«
»Selbstverständlich, Monsieur«, antwortete sie mit einem warmen Lächeln und raffte die sechs Scheine zusammen, die sie noch besaß: sie stammten von zwei Franzosen, einem Italiener, zwei Zürchern und einem Gast aus Basel.
»Ist heute nacht ein Engländer hier gewesen?«
»Nein«, erwiderte die Wirtin fest. »Bei mir hat seit mindestens einem Monat kein Engländer gewohnt«, fügte sie zuvorkommend hinzu. »Möchten Sie auch die Anmeldescheine von letzter Woche sehen?«
»Ist nicht nötig«, sagte der Polizist. Die Wirtin brummte zufrieden. »Aber wir müssen Ihre unbelegten Zimmer kontrollieren. Ihrer Konzessionsurkunde entnehme ich, daß das Hotel über zwölf Gästezimmer verfügt«, fuhr der Polizist fort. »Sechs müßten also leerstehen.«
»Die stehen alle leer«, antwortete die Wirtin. »Ich hab’ sie heute morgen bereits einmal kontrolliert.«
»Wir müssen sie uns selbst ansehen«, beharrte der andere Beamte.
Die Wirtin griff nach ihrem Hauptschlüssel und watschelte auf die Treppe zu, die sie zu erklimmen begann, als handelte es sich um die Gipfelpyramide des Mount Everest. Sie öffnete die Zimmer fünf, sechs, sieben, neun, zehn, elf. Das Zimmer, in dem Maurice übernachtet hatte, war wenige Minuten, nachdem er gegangen war, aufgeräumt worden. Die alte Frau wußte: in dem Augenblick, da die Polizisten Zimmer Nummer zwölf betraten, wäre sie ihre Konzession los. Sie hielt sich eben noch zurück, an die Tür zu klopfen, bevor sie den Schlüssel ins Schloß steckte. Die beiden Polizisten traten ein, während sie im Korridor stehenblieb, für den Fall, daß es irgendwelche Schwierigkeiten mit dem Gast geben sollte.
»Danke, Madame«, sagte der erste Polizist, als er wieder auf den Korridor hinaustrat. »Entschuldigen Sie bitte, daß wir Sie belästigt haben!« Dann hakte er das »Hotel Monarche« auf seiner Liste ab.
Während die beiden Beamten die Treppe hinabstiegen, betrat die Wirtin völlig verblüfft Zimmer Nummer zwölf. Das Bett war unberührt, als hätte niemand darin geschlafen; nicht das Geringste deutete darauf hin, daß hier jemand die Nacht verbracht hatte. Sie strengte ihr strapaziertes Gedächtnis an. Aber so viel habe ich doch gestern abend gar nicht getrunken, sagte sie sich und griff nach den fünfzig Franken in ihrer Tasche, um sich in diesem Punkt Gewißheit zu verschaffen.
»Wo kann er nur stecken?« murmelte sie.
    Die letzte Stunde hatte Adam hinter einem verlassenen Waggon kauernd auf einem Abstellgleis verbracht, etwa einen halben Kilometer vom Hotel entfernt. Von hier aus konnte er in einem Umkreis von hundert Metern alles gut überblicken.
    Er hatte die Fahrgäste beobachtet, die sich früh am Morgen auf dem Weg zum Arbeitsplatz scharenweise in die Züge drängten. Um zwanzig nach acht glaubte Adam die Stoßzeit auf ihrem Höhepunkt. Er vergewisserte sich, daß die Ikone an ihrem Platz war, verließ sein Versteck und mischte sich unter die Menschenmassen. Bei einem Kiosk blieb er kurz stehen. Die einzige neue englischsprachige Zeitung, die schon so früh zum Verkauf auslag, war die Herald-Tribune. Die Londoner Zeitungen waren hier erst nach dem Eintreffen der ersten Maschine aus England erhältlich, während die Herald-Tribune per Bahn aus Paris angeliefert wurde. Bevor er wieder in die dahinhastende Menge tauchte, kaufte er noch zweierlei: einen Plan von Genf und Umgebung sowie eine große Tafel NestléSchokolade.
    Zwei Stunden hatte er totzuschlagen, bevor er sich auf dem Konsulat melden konnte. Das Gebäude, das er sich als nächste Zufluchtsstätte ausgesucht hatte, lag, auch wenn er es sehen konnte, verhältnismäßig weit entfernt, und er wählte den Weg, auf dem er jederzeit in dichten Menschentrauben untertauchen konnte, ging nach dem Platz unter den Markisen der Geschäfte und hielt sich dicht an die Hausmauern, um jede ungedeckte Stelle zu meiden. Es kostete ihn beträchtliche Zeit, aber seine Berechnung stimmte: Er erreichte den Haupteingang der Kirche, als eben Hunderte von Gläubigen nach der Frühmesse ins Freie strömten.
    Im Innern des Gotteshauses fühlte Adam sich sicher. Es war ähnlich angelegt wie die meisten großen Kathedralen der Welt, so daß Adam sich innerhalb weniger Augenblicke zurechtfand. Langsam wanderte er durch das Seitenschiff auf die Scheitelkapelle zu, ließ ein paar

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