Archer Jeffrey
seichter Fluß. Seiner Berechnung nach würde er für die Strecke bis zur Straße etwa zwanzig Minuten brauchen. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß die Ikone an ihrem Platz war, lief er los und behielt ein gleichmäßiges Tempo bei.
Seit Romanow samt seinen Begleitern sang- und klanglos aus dem Bus geworfen worden war, hatte er kaum einen Ton von sich gegeben. Waltschek und der Fahrer hüteten sich wohlweislich, etwas zu äußern. Romanow wußte, daß das Mädchen seinen Bluff durchschaut hatte, und er wußte ferner, daß er sich keinen weiteren diplomatischen Zwischenfall mehr leisten konnte. Zweifelsohne würde dem Vorsitzenden davon berichtet werden. Eines schwor er sich: das Mädchen mit dem Männernamen nie zu vergessen.
Solothurn lag etwa vierzig Kilometer entfernt; es lag in jener Richtung, aus der sie gekommen waren, und der Fahrer hätte die Strecke bis zu dem Dorf, in dem Scott den Bus verlassen hatte, in zwanzig Minuten zurückgelegt. Doch Romanow bestand darauf, das Tempo zu verlangsamen, sobald ihnen ein Wagen entgegenkam. Eingehend musterten sie die Insassen eines jeden Fahrzeugs für den Fall, daß es Scott gelungen sein sollte, ein Auto anzuhalten. Romanows Meinung zufolge stellte dies eine notwendige Vorsichtsmaßnahme dar, die nur den einen Nachteil hatte, daß sie einunddreißig Minuten benötigten, bis sie das Dorf in der Nähe von Solothurn wieder erreichten. Immerhin war sich Romanow inzwischen ganz sicher, daß Scott nicht auf die deutsche Grenze zuhielt – es sei denn, er hätte sich geschickt verkleidet oder führe in einem Kofferraum mit.
Sobald sie in dem Dorf eintrafen, das ihnen der Orchestermanager angegeben hatte, befahl Romanow dem Fahrer, den Wagen mitten im Ort stehenzulassen. Sie trennten sich, um jeder für sich allein nach Hinweisen zu suchen, welche Richtung Scott eingeschlagen hatte. Keiner der Einheimischen, die sie befragten, hatte an diesem Morgen jemand bemerkt, der Scott ähnlich sah. Romanow begann schon zu überlegen, auf welche Grenze er nun lossteuern sollte, als er bemerkte, wie sein Fahrer einem kleinen Jungen einen Fußball zuschoß. Romanow rannte den Hügel hinunter und wollte ihm schon einen Verweis erteilen, als sich der Junge umdrehte und den Ball ihm selbst mit einem scharfen Schuß zuspielte. Romanow stoppte ihn automatisch und schoß ihn kraftvoll an dem Jungen vorbei ins Tor. Dann drehte er sich zum Fahrer um und wollte ihn eben anbrüllen, als der Ball schon wieder vor seinen Füßen landete. Wütend hob er ihn auf, um ihn dem Jungen zuzuwerfen. Da sah er dessen hoffnungsvolles Lächeln. Er hielt den Ball hoch über dem Kopf; der Junge rannte herbei und sprang zu ihm empor, aber so sehr er sich auch anstrengte, er konnte ihn nicht erreichen.
»Hast du heute vormittag irgendwelche Fremde hier gesehen?« fragte Romanow in gedehntem, bedächtigem Französisch.
»Ja!« rief der Junge, »aber der hat kein Tor geschossen …« »Und wohin ist er gegangen?«
»Den Hügel hoch«, lautete die Antwort. Zur großen Enttäuschung des Kindes ließ Romanow den Ball fallen und begann zu rennen. Waltschek und der Fahrer folgten ihm.
» Non, non « , rief der kleine Junge und lief hinter ihnen her.
Romanow blickte zu ihm zurück. Er stand genau an der Stelle, an der Adam versucht hatte, einen Wagen anzuhalten, und deutete hinüber über die Schlucht.
Romanow wandte sich rasch an den Fahrer. »Holen Sie den Wagen, ich brauche das Fernglas und die Karte!« Der Chauffeur lief, gefolgt von dem Jungen, die Anhöhe wieder hinunter. Wenige Minuten später bremste der Mercedes neben Romanow. Der Fahrer sprang heraus und reichte ihm das Fernglas, während Waltschek auf der Kühlerhaube eine Landkarte ausbreitete. Romanow stellte den Feldstecher ein und begann die Hügel in der Ferne abzusuchen. Es dauerte einige Minuten, bis das Fernglas auf einen braunen Punkt gerichtet blieb, der eben den am weitesten entfernten Hügel hinaufkletterte.
»Das Gewehr!« befahl Romanow.
Waltschek eilte zum Kofferraum und holte ein Dragunow
Scharfschützengewehr mit Zielfernrohr heraus. Er baute die lange, schlanke Waffe mit dem charakteristischen hölzernen Mantelschaft zusammen und prüfte, ob sie geladen war. Er hob das Gewehr, rückte es zurecht, bis es bequem auf seiner Schulter lag, und suchte das Gelände ab, bis er Scott im Visier hatte. Romanow verfolgte im Feldstecher, wie Adam sich mit gleichmäßigen Schritten entfernte. Waltscheks Arm bewegte sich, Adams Tempo angepaßt,
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